Die beschnitzten Kirschkerne gehören zu den wohl bekanntesten Kostbarkeiten des Dresdner Grünen Gewölbes. Kaum etwas weiß man hingegen über die sächsische Adelsfamilie von Loß, durch die einige dieser kunstvollen Kleinode als Geschenke an den Dresdner Hof gelangten. Aufgrund einer Kombination aus Besitz, Ämtertätigkeit und vornehmem Konnubium zählte das Loß’sche Geschlecht im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert zur Machtelite Kursachsens und hat bedeutende Spuren im politischen wie kulturellen Leben seiner Zeit hinterlassen.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Mikrostudie steht die Lebenswelt des Christoph von Loß (1574-1620), der als patriarchalischer lutherischer Grundherr und „Hausvater“ erfolgreich auf seinem Rittergut Schleinitz agierte. Zugleich hatte er als Geheimer Rat und Hofmarschall zentrale Positionen am Dresdner Hof inne und wirkte als Reichspfennigmeister des Ober- und Niedersächsischen Reichskreises auch auf der Ebene der Reichspolitik. Dabei geht es hier jedoch nicht um eine Biografie, um ein individualisiertes Lebensbild, sondern um eine generationenübergreifende Studie zur Herrschaftspraxis des kursächsischen Landadels in der Frühen Neuzeit. Vor der allgemeinen Folie kursächsischer Politik und Wirtschaft sowie vor dem speziellen Hintergrund der kursächsischen Agrarverfassung werden Spielräume ebenso wie strukturell vorgegebene Zwänge zur Durchsetzung adliger Macht und Herrschaft um 1600 analysiert. Durch die Verknüpfung verschiedener Kommunikations- und Handlungsebenen gelingt es zudem, Interdependenzen im politischen System des Alten Reiches offenzulegen.