Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht der ländliche Alltag: Menschen und ihre Geschichte(n) in der Zeit vom Siebenjährigen Krieg bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. Den Schauplatz bilden fünf ausgewählte Gutsbezirke im ländlichen Sachsen und in der Oberlausitz. Dieser mikrohistorische Zugang ermöglicht einen genauen Blick auf den Umgang mit Macht und Herrschaft, Lebensnotwendigem und Besitz, auf soziale Netzwerke und Familienbeziehungen. Die Akten geben Auskunft über uneheliche Schwangerschaften und gelöste Eheversprechen, Kreditverträge und Zwangsvollstreckungen, Streitigkeiten innerhalb der Familie und Widerstand gegenüber dem Gutsherrn. Sie zeigen die Wechselwirkung von wirtschaftlichen Beziehungen und sozialen Netzwerken. Testamente und Besitzübertragungen machen deutlich, wie das Zusammenleben zwischen den Generationen funktionierte oder warum im Gegenteil Konflikte entstanden. Emotionen und soziale Bindungen hingen eng mit den ökonomischen Rahmenbedingungen zusammen.
Das Leben in den Grund- und Gutsherrschaften war gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch zahlreiche Verpflichtungen gegenüber der Herrschaft geprägt: Arbeit, Abgaben sowie die persönliche Bindung an Land und Besitz. Das änderte sich ab 1832 mit der neuen Agrargesetzgebung. Trotzdem dauerte es noch lange, bis alte Verpflichtungen abgelöst waren und sich ein neues Selbstverständnis entwickelte. Grundlegende Änderungen im öffentlichen Recht, die Einführung von Versicherungssystemen und Sparkassen lockerten das Netz gegenseitiger Verbindlichkeiten und verlagerten Zuständigkeiten und Verpflichtungen zunehmend auf Institutionen.