Transformationen. Brüche und Entwicklungsprozesse in Ostdeutschland

Bearbeitung: Kollegium des Bereichs Volkskunde/Kulturanthropologie

Blick auf das Kraftwerk Turów,
Foto: Katharina Schuchardt

Die vor 30 Jahren erfolgreiche „Friedliche Revolution“ und die anschließende Wiedervereinigung Deutschlands bedeuteten eine historische Zäsur, deren Folgen bis heute nachwirken. Neben den systemischen Veränderungen in Politik, Wirtschaft, Recht und Gesellschaft stellten die Auflösung und das Ende der DDR eine einschneidende biografische Erfahrung für viele Menschen dar: Mit dem Verlust der Alltagswelt der DDR ging die Notwendigkeit einer Umstellung auf neue gesellschaftliche Anforderungen, Freiheiten und Zwänge einher, die in ganz unterschiedlicher Weise – als Chance, als Niederlage oder als Notwendigkeit – bewältigt wurde. Mit multiperspektivischen Herangehensweisen untersuchen wir, wie Individuen, Gruppen und Institutionen „neuen Zeiten“ begegnen, welche Deutungen der Umbrüche artikuliert werden und welche retrospektiven Bewertungen getroffen werden.

Die Ereignisse von 1989/1990 nehmen wir als einen Ausgangspunkt, um unterschiedliche Dynamiken zu fokussieren. Veränderte gesellschaftliche und ökologische Rahmenbedingungen bedingen neue Transformationsprozesse. Einige dieser Faktoren und Folgen werden in den Projekten „Energie | Wende“ und „LandschaftsWandel“ bearbeitet. Dazu gehören der Ausstieg aus der Gewinnung und Verstromung von Braunkohle in der Lausitz und neue Bergbauaktivitäten für Rohstoffe der Energiewende in (ehemaligen) Abbaugebieten wie dem Erzgebirge. Der Beschluss zum Kohleausstieg bedeutet die Neuorientierung für eine ganze Region, die bisher von einer Großindustrie geprägt wird. Die Perspektive auf lokale Akteurinnen und Akteure verdeutlicht ihre Erfahrungen im Umgang mit einem politisch induzierten Umbruchsprozess, die Einbettung des aktuellen Wandlungsprozesses in Narrative der Wendezeit und den Umgang mit prospektiven Erzählungen von Wandel in einer Liminalitätsphase. Auch geplante Projekte zu bergbaulichen Aktivitäten im Erzgebirge für den Abbau von Lithium bewegen sich zwischen der Tradition und Identifikation als Bergbauregion und Widerstand gegen einen erneuten Eingriff in die sich nach wie vor neu formierenden Folgelandschaften. Beide Projekte beziehen die Entwicklungen der Nachbarstaaten Polen und Tschechische Republik mit ein, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Die Energiewende wird zu einem ambivalenten Prozess, der ebenso zwischen lokalen wie politischen Akteurinnen und Akteuren sowie wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Interessen ausgehandelt werden muss. Dabei spielen gesellschaftliche Diskurse über nachhaltige Lebensstile und Vertrauen in die Entwicklung zukünftiger Lösungsstrategien eine zentrale Rolle.

Erinnerung an die Bergbautradition
in Weißwasser, Foto: Katharina Schuchardt

Auch die vorhergehenden und sich anschließenden Entwicklungen sind Teil des Forschungsprofils Transformationen. Mit diesem Forschungsschwerpunkt sind beispielsweise die Projekte „Erinnern an die Arbeit im Kollektiv“ und „Soziales Erbe“ verknüpft. Die Perspektiven reichen dabei von individuellen Erfahrungen mit dem Umbau der Arbeitswelt bis zu Neuorientierungen von Vertragsarbeitern und Vertragsarbeiterinnen nach 1989/90. Im Projekt „Ostdeutsche Migrationsgesellschaft selbst erzählen: Bürgerschaftliche Geschichtswerkstätten als Produktionsorte für Stadtgeschichten (MigOst)“, wurden lokale Vereine von Migrantinnen und Migranten beraten und unterstützt, um Geschichtswerkstätten (in Dresden, Cottbus und Halle) zu verschiedenen Themen durchzuführen. Inzwischen sind die lebensgeschichtlichen Erzählungen ebenso wie ausgewählte Archivbestände der Organisationen in das Lebensgeschichtliche Archiv eingearbeitet.

Durch den multiperspektivischen, interdisziplinären Zugriff in den Projekten soll die Vielschichtigkeit von Transformationserfahrungen adäquat bearbeitet sowie reflektiert und ein tieferes Verständnis für heutige gesellschaftliche Problemlagen und Konflikte ermöglicht werden.