Erinnern an die Arbeit im Kollektiv. Das Brigadeleben in der DDR und seine postsozialistischen Tradierungen
In der DDR war die Mitgliedschaft in einer „sozialistischen Brigade“ seit den 1960er-Jahren für viele „Werktätige“ ein obligatorisches Element des Arbeitslebens. Das Forschungsprojekt untersucht mit dieser Kollektivform eines der zentralen Elemente der Vergesellschaftung in der DDR. Dabei soll die Brigade als sozialer Raum und als Raum der Erinnerung betrachtet werden, anhand derer die Funktionsweisen eines dem Anspruch nach kollektiv geführten Alltagslebens zu analysieren sind. Die Untersuchung fragt nach individuellen Handlungsmöglichkeiten in der Zwangsgemeinschaft „Brigade“, um die Wirkungsweisen der „durchherrschten Gesellschaft“ (Alf Lüdtke) zu eruieren. Im Zentrum stehen die Erinnerungen ehemaliger Mitglieder an das Arbeiten und Leben im Kollektiv und ihre retrospektiven Deutungsmuster. Ausgangspunkt bildet die Frage nach der Identifikation mit dem Kollektiv und nach inkludierenden und exkludierenden Gruppenprozessen. Zu fragen ist ferner nach einem möglichen Bedeutungswandel sowie der sozialen Funktion bis in die Gegenwart, insbesondere die Selbstverortung im damaligen und heutigen Brigadekontext. Dabei sind Kontaktformen nach 1989 sowie die postsozialistische Entwicklung in den Blick zu nehmen. Dem Phänomen nähere ich mich mit einem multiperspektivischen Ansatz über drei Quellengruppen: leitfadenbasierte narrative Interviews, Brigadetagebücher und archivalische Quellen. Dementsprechend bilden einzelne Brigaden verschiedener Wirtschaftsbereiche den Untersuchungsgegenstand. Das Interviewsample setzt sich aus ehemaligen Kollektivmitgliedern zusammen, wobei stets mehrere Personen der jeweiligen Brigade interviewt werden sollen. Ergänzt werden diese durch Experteninterviews. Brigadetagebücher entstanden im Rahmen des „sozialistischen Wettbewerbes“, an dem die Kollektive jährlich teilnahmen. Über diese Quellengattung lässt sich das idealtypische Bild der Verbindung von Arbeiten, Lernen und Leben, wie es von SED und Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund programmatisch gefordert wurde, nachvollziehen. Der Quellenwert dieser Bücher lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass sie Zeugnisse des repressiven Systems ebenso vereinen wie private Erinnerungen der einzelnen Mitglieder. Nach 1989 fand dann ein Prozess der Umdeutung vom Wettbewerbsgegenstand zu Erinnerungsobjekten statt. Ich frage nach der Struktur und nach den Legitimationsstrategien dieses Bedeutungswandels und danach, ob ehemalige Brigademitglieder immaterielle Werte wie Kollegialität und Gemeinschaftsgefühl mit den Büchern verbinden. Archivalische Quellen schließlich eröffnen eine weitere Analyseebene, da sie die Interviews und die Brigadetagebücher kontextualisieren. So werden insbesondere die Nachlässe der untersuchten Betriebe, aber auch Unterlagen des „Ministeriums für Staatssicherheit“ eingesehen. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Sammlung von Brigadetagebüchern des Lebensgeschichtlichen Archivs. Die Arbeit wird von Prof. Dr. Göttsch-Elten (Kiel) betreut.