Der „Codex diplomaticus Saxoniae“ (CDS)

Bearbeiter: Christian Schuffels, Tom Graber
externe Bearbeiter (Dresdner Urkundenbuch): Stefan Petersen, Philipp Wollmann (MGH München)

Bildausschnitt aus Gemälde von Jan Lievens Bücherstilleben 1628
Bildausschnitt aus Gemälde von
Jan Lievens Bücherstilleben 1628

Die mittelalterliche Geschichte Sachsens erschließt sich zu einem beträchtlichen Teil aus der urkundlichen Überlieferung. Um diese Urkunden in wissenschaftlich zuverlässigen Ausgaben bereitzustellen, wurde im Jahr 1860 von der Sächsischen Staatsregierung der „Codex diplomaticus Saxoniae regiae“ begründet. Schnell erwarb sich das Vorhaben den Respekt der gelehrten Fachwelt. Bis heute sind in dem Werk etwa 12.000 Urkunden erfasst und ediert worden. Damit ist der „Codex“ die bedeutendste Quellensammlung zur Geschichte des mitteldeutschen Raums und das grundlegende und unentbehrliche Hilfsmittel für die Erforschung der wettinischen Territorien im Mittelalter.

Handhabung

Übergabe des Lehnbriefes für das Herzogtum Lüneburg an Herzog Albrecht von Sachsen-Wittenberg
Übergabe des Lehnbriefes für das
Herzogtum Lüneburg an Herzog
Albrecht von Sachsen-Wittenberg;
Buchmalerei von Hans Bornemann
in der Lüneburger Handschrift des
Sachsenspiegels. 1448

Der „Codex diplomaticus Saxoniae“ lässt sich bequem nutzen. Denn er teilt die Urkunden in die drei „Hauptteile“ I, II und III auf; diese Hauptteile folgen nach pragmatischen Gesichtspunkten unterschiedlichen Editionsprinzipien.

Im Hauptteil I werden die Urkunden der weltlichen Landesherren ediert, also der Markgrafen von Meißen, der Landgrafen von Thüringen sowie der Herzöge und Kurfürsten von Sachsen. Die Editionen berücksichtigen nach dem Aussteller- und Empfängerprinzip die original und kopial überlieferten Urkunden und die Deperdita sowohl der von den regierenden Fürsten ausgestellten und mitbesiegelten als auch der nachweislich von ihnen empfangenen Privilegien, Mandate und Briefe.

Der Hauptteil I ist in die beiden „Abteilungen“ A und B unterteilt: Abteilung I/A setzt mit der urkundlichen Überlieferung um die Mitte des 10. Jahrhunderts herum ein. In Abteilung I/B werden die seit 1381/82 ausgestellten Urkunden ediert. Die Zäsur erklärt sich aus dem Todesjahr des Thüringer Land- und Meißner Markgrafen Friedrich III. „des Strengen“ († 1381) und aus der Teilung des Erbes unter seine drei Söhne im Chemnitzer Vertrag (1382). Seitdem blieb das Territorium der Wettiner für fast ein ganzes Jahrhundert lang geteilt. Erschienen sind bisher die Bände für die Jahre von 948 bis 1264 (CDS I/A 1-5) und für den Zeitraum von 1381 bis 1427 (CDS I/B 1-4). Der Hauptteil I soll künftig einmal bis zur Leipziger Teilung des Jahres 1485 in das ernestinische Kurfürstentum Sachsen und das albertinische Herzogtum Sachsen reichen.

Im Hauptteil II wird die urkundliche Überlieferung der Städte und geistlichen Institutionen Sachsens erfasst. Die Publikationen dieses Hauptteils sind institutionell nach dem Pertinenzprinzip angelegt. Bisher liegen in 21 Bänden insgesamt 11 Editionen vor (CDS II/1-21), darunter

  • in drei Bänden das Urkundenbuch des Hochstifts Meißen (CDS II/1-3, ed. Ernst Gotthelf Gersdorf, 1864-1867),
  • die Urkundenbücher unter anderem der Städte Chemnitz, Freiberg, Kamenz, Leipzig, Löbau, Meißen und Zwickau, teils unter Einschluss ihrer Klöster (Meißen: CDS II/4, ed. Ernst Gotthelf Gersdorf, 1873; Chemnitz: CDS II/6, ed. Hubert Ermisch, 1879; Kamenz/Löbau: CDS II/7, ed. Hermann Knothe, 1883; Leipzig: CDS II/8-10, ed. Karl-Friedrich von Posern-Klett / Joseph Förstemann, 1868-1894; Freiberg: CDS II/12-14, ed. Hubert Ermisch, 1883-1891; Zwickau: CDS II/21, ed. Henning Steinführer, 2014),
  • das Urkundenbuch und die Matrikel der Universität Leipzig (CDS II/11, ed. Bruno Stübel, 1879; CDS II/16-18, ed. Georg Erler, 1895-1902) sowie
  • der erste, bis 1249 reichende Teil des Urkundenbuchs des Zisterzienserklosters Altzelle (CDS II/19, ed. Tom Graber, 2006).

Im Hauptteil III werden die in Sachsen überlieferten Papsturkunden nach dem Fondsprinzip im Volltext ediert. Dieser Hauptteil erhielt seine Bestimmung erst Ende der 1990er Jahre bei der Neuausrichtung der Arbeiten am „Codex“. Dabei orientierte man sich an zwei großen internationalen Vorhaben: an dem von Paul Fridolin Kehr initiierten „Göttinger Papsturkundenwerk“ und an dem nach dem italienischen Diplomatiker Franco Bartoloni benannten „Censimento Bartoloni“, der für den Zeitraum von Papst Innozenz III. (regierte 1198–1216) bis zum Ende des Großen Abendländischen Schismas (1417) die päpstlichen Originalurkunden mit vollständiger Wiedergabe der kurialen Vermerke verzeichnet. Der erste Band des dritten Hauptteils liegt bereits vor; in ihm hat Tom Graber die bis 1303 ausgestellten und im Original erhaltenen Papsturkunden des heutigen Sächsischen Staatsarchivs – Hauptstaatsarchivs Dresden ediert (CDS III/1, 2009).

Der „Codex“ einst …

Wachssiegel Kaiser Friedrichs I. Barbarossa (regierte 1152-1190)
Wachssiegel Kaiser Friedrichs I.
Barbarossa (regierte 1152-1190)

Im ersten halben Jahrhundert seines Bestehens erschienen bis 1909 im „Codex diplomaticus Saxoniae regiae“ nicht weniger als 24 Bände. In der Frühzeit des Unternehmens zählten zu den herausragenden Editoren, denen jeweils mehrere Urkundenbücher verdankt werden, der Historiker und Leipziger Bibliothekar Ernst Gotthelf Gersdorf (1804–1874), der für seine siegelkundlichen Forschungen berühmt gewordene Otto Posse (1847–1921) und der wie Posse in Göttingen von Georg Waitz promovierte Hubert Ermisch (1850–1932), der in Dresden als Archivar und Bibliothekar wirkte. Dann geriet die Editionstätigkeit ins Stocken, ohne jemals ganz abgebrochen zu werden. Mitten im Zweiten Weltkrieg konnte 1941 noch ein Band im Druck erscheinen (CDS I/B 4); er verzichtete erstmals auf das „regiae“ im Titel.

… und jetzt

In den 1990er Jahren wurde das traditionsreiche Editionsvorhaben des „Codex diplomaticus Saxoniae“ auf eine neue institutionelle Grundlage gestellt. Seit 2002 wurden die Arbeiten als Kooperationsprojekt des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in der Weise fortgesetzt, dass die Akademie, die eine Arbeitsstelle in Dresden unterhält, die Federführung für die landesherrlichen Urkunden des Hauptteils I übernahm. Seit Januar 2023 führen das ISGV und die Akademie die Edition der landesherrlichen Urkunden gemeinsam fort. Die Haupteile II und III werden seit 2002 vom ISGV bearbeitet. Damit wird derzeit an allen drei Hauptteilen des „Codex“ gearbeitet. Seit 2006 sind im Codex-Projekt insgesamt sieben Bände vorgelegt worden; drei weitere stehen kurz vor dem Abschluss.

Der Codex online

Das ISGV betreut auch die digitale Präsentation des „Codex diplomaticus Saxoniae“ im Web. Online im Web-Portal verfügbar sind sämtliche älteren, bis 1941 erschienenen Bände sowie von den jüngeren Editionen diejenigen, die bis 2009 publiziert worden sind. Der Zugriff erfolgt bandweise sowohl über die Nummern der Urkunden als auch über die Seitenzahlen der gedruckten Ausgaben. Die Buchseiten können direkt über den Browser ausgedruckt werden. Es ist geplant, auch alle jüngeren Editionsbände in das Web-Portal des ISGV aufzunehmen und das Portal funktional weiter auszubauen. 
Link zur Webseite: http://codex.isgv.de

 

Aktuelle Arbeitsvorhaben

Hauptteil I (Fürstenurkunden): Seit 2009 unterhält die Sächsische Akademie der Wissenschaften (SAW) eine Codex-Arbeitsstelle, die die Lücke im Hauptteil I zwischen den Jahren 1234 und 1381 schließt. Seit 2023 wird diese an der SAW angesiedelte Arbeitsstelle gemeinsam durch die SAW und das ISGV betrieben. Sie besteht aus den Wissenschaftlichen Mitarbeitern Mathias Kälble (SAW) und Tom Graber (ISGV) und wird durch den Freistaat Thüringen, die Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung und den Freistaat Sachsen finanziert. Die Fürstenurkunden der Jahre 1235–1247 und 1248–1264, ediert von Mathias Kälble und Tom Graber, sind 2014 und 2017 erschienen. Beide Bearbeiter haben auch die Edition für den Zeitraum von 1265 bis 1272 weitgehend abgeschlossen. Die Arbeit an Hauptteil I wird ab 2023 unter Beteiligung des ISGV fortgesetzt.

Hauptteil II (Städte und geistliche Institutionen): Derzeit werden im ISGV im Hauptteil II das Urkundenbuch der Stadt Dresden neu ediert (Ulrike Siewert, Stefan Petersen, Philipp Wollmann). Das Urkundenbuch der Städte Dresden und Pirna wurde von Karl Friedrich von Posern-Klett begonnen und nach dessen Tod 1875 von Otto Posse herausgegeben (CDS II/5), ist allerdings unvollständig. So sind zahlreiche Stücke unberücksichtigt geblieben und wurden erst in die neue, seit 2010 bearbeitete Edition aufgenommen, die kurz vor dem Abschluss steht. Sie enthält die Urkunden zu den Dresdner und Altendresdner Pfarrkirchen bis zur Einführung und Durchsetzung der Reformation in der Stadt (1539/41). Berücksichtigt werden die Frauenkirche, die Nikolai- bzw. Kreuzkirche und die Dreikönigskirche.

Hauptteil III (Papsturkunden): Seit 2017 wird im ISGV die Bearbeitung der originalen Papsturkunden des 15. Jahrhunderts aus dem Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden fortgeführt (Christian Schuffels). Der Band setzt mit dem Pontifikat Papst Martins V. (regierte 1417–1431) ein und wird bis zum Ende des Pontifikats Papst Innozenz‘ VIII. (regierte 1484–1492) reichen. Berücksichtigt werden auch die vom Basler Konzil ausgestellten Urkunden. Sämtliche Stücke sollen im Volltext und unter Einschluss der teils umfangreichen kurialen Vermerke ediert und mit ausführlichen Kopfregesten und erläuternden Kommentaren versehen werden.

 

Name und Titel Papst Eugens IV. (regierte 1431–1447) in einer Urkunde für Herzog Sigismund von Sachsen
Name und Titel Papst Eugens IV. (regierte 1431–1447) in einer Urkunde für Herzog Sigismund von Sachsen vom 26. April 1432. Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10001, Ältere Urkunden, Nr. 6224 (olim OU. 6224); Aufnahme: Petra Weickert.

Ausgewählte Hinweise auf die einführende Literatur

  • Matthias Werner, „Zur Ehre Sachsens“. Geschichte, Stand und Perspektiven des Codex diplomaticus Saxoniae, in: Tom Graber (Hg.), Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 12), Leipzig 2005, S. 261-302 (grundlegende Abhandlung zur Geschichte des „Codex“).
    Link: http://codex.isgv.de/Werner.pdf
  • Enno Bünz, Ostmitteldeutsche Urkundenüberlieferung. Zum Editionsstand der mittelalterlichen Urkunden in Sachsen, in: Luise Czajkowski / Corinna Hoffmann / Hans Ulrich Schmid (Hgg.), Ostmitteldeutsche Schreibsprachen im Spätmittelalter (Studia Linguistica Germanica 89), Berlin 2007, S. 125-153 (mit Übersicht über die Editionen und Regesten zur Geschichte Sachsens).
  • Tom Graber/Mathias Kälble, Der Codex diplomaticus Saxoniae. Mediävistische Grundlagenforschung an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 5 (2010), S. 169-176 (u. a. zur Editionstätigkeit am Hauptteil I).
    Link: http://denkstroeme.de/heft-5/s_169-176_graber-kaelble
  • Enno Bünz, Die Römische Kurie und Sachsen im späten Mittelalter. Mit einer Zusammenstellung der Benefizien des Bistums Meißen in den päpstlichen Registern 1417–1471, in: Wolfgang Huschner / Enno Bünz / Christian Lübke (Hgg.), Italien, Mitteldeutschland, Polen. Geschichte und Kultur im europäischen Kontext vom 10. bis zum 18. Jahrhundert (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 42), Leipzig 2013, S. 403-530.
  • Christian Schuffels, Der „Codex diplomaticus Saxoniae“. Zum Stand der Arbeiten am Urkundenwerk zur Geschichte Sachsens, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 154 (2018), S. 33-57 (Überblick zum aktuellen Stand).
    Link: https://codex.isgv.de/Aufsatz_CDS.pdf 
    Erneute Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der „Blätter für deutsche Landesgeschichte“.
  • Informationen zum Projekt bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften finden sich unter:
    Link: http://www.saw-leipzig.de/forschung/projekte/codex-diplomaticus-saxoniae

(Stand 03/2023)