Wasser – Luft – Bewegung. Umweltschutz in der DDR

Umweltschutz in der DDR: eine Geschichte der Extreme. Nach Schweden war die Deutsche Demokratische Republik immerhin das zweite Land in Europa, das den Umweltschutz gesetzlich verankert und 1972 ein eigenes Ministerium eingerichtet hatte – die Bundesrepublik folgte erst 1986. Knapp 20 Jahre später zählte die DDR dann zu denjenigen europäischen Staaten mit der gravierendsten Umweltproblematik (Maurice 2019, S. 144). Dabei sollte und wollte der Staat – analog der marxistisch-leninistischen Maxime – den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Existenz- und Entwicklungsbedingungen gewährleisten. Weiterhin galt die Prämisse, Umweltschutz und industrielles Wachstum zu verbinden, eine Einheit von Ökonomie und Ökologie zu schaffen.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte es vordringlichere Probleme gegeben. Öffentliches Interesse und Bewusstsein für Umweltschutz waren kaum vorhanden. Der Umgang mit Ressourcen geschah weitgehend sorglos; der technische Fortschrittsglaube verstellte den Blick auf die ökologischen Folgen industrieller Entwicklung. Volkseigene Betriebe waren zudem kaum an ökologische Auflagen gebunden, sondern richteten sich vor allem an der Maxime Produktivität und Planerfüllung aus. Erst in den 1960er Jahren entwickelten sich ein stärkeres Umweltbewusstsein und die Wertschätzung von natürlichen Ressourcen. Neben der Zuständigkeit der Behörden waren auch die Staatsbürger*innen zur „Reinhaltung der Gewässer und Luft“ sowie dem „Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten der Heimat“ angehalten (Artikel 15 der novellierten Verfassung).

Ab den 1970er Jahren dann zählte Umweltpolitik in beiden deutschen Staaten zu einem der vorrangigen gesellschaftspolitischen Ziele – und entsprach damit dem Zeitgeist: Im Januar 1972 hatte die erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm stattgefunden; die Gründung der Umweltorganisation der Vereinten Nationen war die Folge. Zeitgleich war eine wegweisende Studie zur Weltwirtschaft und Zukunft der Menschheit durchgeführt und in mehreren Sprachen (dt. „Die Grenzen des Wachstums“, 1972) veröffentlicht worden. Die Vorbereitung von DDR und Bundesrepublik auf ihre Aufnahme in die UNO 1974 tat ein Übriges, um sich engagiert in Sachen Umweltschutz zu präsentieren.

1971 wurde eine Arbeitsgruppe ,,Umweltschutz und Umweltgestaltung" an der Akademie der Wissenschaften gegründet, die ihre Arbeit allerdings bereits fünf Jahre später wieder einstellen musste. Aufgrund der Finanzknappheit des Staates kam der ökologische Aufbruch zum Erliegen. Zwar lagen Anfang der 1980er Jahre bereits viele (alarmierende) Untersuchungsergebnisse vor, wurden aber zugunsten des Versuchs, die Wirtschaft anzukurbeln, ignoriert. Ab 1975 sollten Daten aus Umweltberichten offiziell zurückgehalten werden, Ende 1981 schließlich wurden sämtliche zentralen Umweltdaten mit der höchsten Geheimhaltungsstufe belegt (Roesler 2006, S. 52). Es kam sogar zu falschen Angaben in Bezug auf die Emissionswerte von Schwefeldioxid an die Economic Comission for Europe der UN (ebd., S. 57). Als der Geheimhaltungsbeschluss für Umweltdaten im Dezember 1989 aufgehoben wurde, förderte die Akteneinsicht erschreckende Ergebnisse zutage.

Thüringer Wald: Bäume werden gedüngt, Mai 1987, Foto: Helmut Schaar (BArch, Bild 183-1987-0507-025)
Thüringer Wald: Bäume werden gedüngt, Mai 1987, Foto: Helmut Schaar (BArch, Bild 183-1987-0507-025)

Wasser

Die geografische Lage der DDR – eine Zone mit relativer Niederschlagsarmut und geringer Abflussgeschwindigkeit der Gewässer – machte sie zu einem der wasserärmsten Gebiete Europas (ebd., S. 6 f.). Die dadurch bedingte intensive Wassernutzung sowie die schwachen Selbstreinigungskräfte der Flüsse führten zu einer Verknappung dieser lebenswichtigen Ressource. Der Nutzungsgrad von Wasser war in der DDR daher enorm: mehr als doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik und fast viermal so hoch wie in Polen. In Industrie- und Ballungszentren mussten die Wasserressourcen durchschnittlich vier- bis sechsmal erfasst, genutzt, gereinigt und wieder in einen Fluss zurückgeleitet werden (ebd., S. 39 ff.). Viele Flüsse waren daher biologisch tot. Die schlechte Trinkwasserversorgung erregte bereits in den 1950er Jahren die Aufmerksamkeit der SED-Führung, ebenso Einschränkungen der wirtschaftlichen Produktivität durch Wasserverschmutzung. Die Ursache hierfür lag im „Kohle- und Energieprogramm“ (1957) sowie im „Chemieprogramm“ (1958) begründet: Massive Störungen des Wasserhaushaltes durch Vergiftung von Gewässern – vorrangig durch Abwässer aus Gruben und Brikettfabriken – waren die Folge. Zu Beginn der 1960er Jahre formulierte ein Autorenkollektiv der Hochschule für Ökonomie (Ost) in einem Gutachten: „Vor allem die Industriegebiete in den heutigen Bezirken Sachsens und Sachsen-Anhalts, teils auch Thüringens und Brandenburgs, leiden unter einer ganz besonders starken Verschmutzung ihrer Wasserläufe. Sie gleichen streckenweise fast schon Abwässerkanälen“ (Möller 2015, S. 147 f.). Die Vergiftung von Elbe, Saale, Mulde und Schwarzer Elster in der Nähe der großen Chemiekombinate Böhlen, Buna, Bitterfeld, Leuna, Piesteritz und Wolfen war jedoch kein neues Problem, sondern fast „normal“. Und so wurde das Ausmaß dieser Schäden – mitsamt den Folgen der Überdüngung in der industrialisierten Landwirtschaft – erst allmählich erkannt. Eine kritische Sichtweise der Folgen der „sozialistischen Industrialisierung“ musste sich allerdings wirtschaftlichen Prämissen unterordnen.

Aber auch kommunale Entsorgungsprobleme führten zu desaströsen Ergebnissen: Im Jahr 1974 förderte eine Begehung an einem Zufluss der Elbe über 20 Kilometer fast 200 „Schwarzeinleitungen“ – im Wortsinne – ans Licht, wie der Vorsitzende des Rates des Kreises Roßlau berichtete: Hinzu kamen wilde Müllkippen, nicht genehmigte Düngerlagerplätze, kommunale Abwässer, Jauche, Gülle und andere „Sickersäfte“ (Roesler 2006, S. 33). Aber auch der mangelnde Anschluss von Privathaushalten an – vielfach marode – Kanalisationssysteme stellte ein gravierendes Problem dar. 1989/90 verfügten knapp drei Viertel aller Haushalte über einen Zugang, jedoch nur 58 Prozent waren an die öffentliche Abwasserbehandlung angeschlossen (Petschow/ Meyerhoff/ Thomasberger 1990, S. 100).

Luft

S M O G: „Sozialistischer Morgennebel ohne Gesundheitsschädigung“ – so lautete eine sarkastisch-fatalistische Auflösung dieses Kürzels für die Kombination von Luftverschmutzung und Nebel. Ein entsprechender Alarm wegen Gesundheitsgefährdung hätte in einigen Gegenden (wie beispielsweise Raum Gera/Erfurt) etwa einmal wöchentlich erfolgen müssen.

Der wichtigste Energiesektor in der alten Bundesrepublik war die Steinkohle, in der DDR die Braunkohle – ein Unterschied mit schwerwiegenden Folgen. Denn die Veredelung und Verarbeitung von Braunkohle bringt eine besonders hohe Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Staub mit sich und belastet das Grundwasser in wesentlich stärkerem Maße als Steinkohle (Roesler 2006, S. 6). Die Schriftstellerin Brigitte Reimann beschrieb im Winter 1960, wie sich eine Zone von schwarzem Schnee rund um Senftenberg bildete – ein Ergebnis der Braunkohleförderung des Kombinats „Schwarze Pumpe“ in der Lausitz (ebd., S. 14). Noch lagen keine validen Forschungsergebnisse für Luftverschmutzung, Schadstoffemissionen und deren Wirkungen vor. Das Ausmaß der Zerstörung – Kraterlandschaften durch den Abbau – geriet dagegen bereits in den 1960er Jahren ins Bewusstsein, und auf politischer Ebene wurde eine schnelle Renaturierung der devastierten Fläche propagiert. Allgemein sollte sich der Schwerpunkt von der Schwerindustrie hin zu „fortschrittlicheren“ Segmenten wie beispielsweise Elektrotechnik und wissenschaftlichem Gerätebau verlagern, Braunkohle durch Erdöl abgelöst werden. Der Luftverschmutzung, inzwischen als ernstes Problem identifiziert, wollte man durch den Bau besonders hoher Schornsteine (bis zu 300 Meter) begegnen. Positiv wirkten sich wirtschaftliche Krisen aus, die zwangsläufig zu einem schonenden Umgang mit Ressourcen, mit Boden sowie Natur- und Rohstoffen führten. Bei Abfallverwertung und Recycling wurden große Erfolge verzeichnet, nicht zuletzt durch die erfolgreiche Einbindung der Bevölkerung in die Sammelaktionen.

Im Jahr 1973 wurde ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft erlassen. Sechs Jahre später verabschiedete eine UN-Kommission eine Konvention zur Verringerung von Luftschadstoffemissionen. Als neues Mitglied musste sich auch die DDR wohl oder übel dazu verpflichten, ihre Schwefeldioxid-Emission bzw. die „grenzüberschreitenden Schadstoffströme“ bis 1993 im Vergleich zu 1980 um ein Drittel zu senken – ein Zugeständnis, das mit erheblichen Kosten verbunden war und ohne internationalen Druck nicht zustande gekommen wäre. Die Schwefeldioxidbelastung in den Jahren 1978/79 lag in der DDR bei 236 Kilogramm je Einwohner*in. Zum Vergleich: In der Tschechoslowakei waren es 208, in Großbritannien 92 und in der Bundesrepublik 58 Kilogramm (ebd., S. 39). Zu diesem Zeitpunkt traten auch deutlich sichtbare Waldschäden zutage, unter anderem im Erzgebirge, Thüringer Wald und Zittauer Gebirge. Waldsterben entwickelte sich daher zu einem touristischen und somit auch ökonomischen Problem. Die stark angewachsene Verschuldung und Zahlungskrise der DDR verhinderte jedoch umwelterhaltende Maßnahmen, sondern führte im Gegenteil zu einem Westexport um jeden Preis. Das betraf auch den Rohstoff Heizöl, sodass wieder vermehrt Braunkohle abgebaut und verheizt wurde. Überalterte Anlagen wurden auf Verschleiß gefahren, was zu einer erheblichen Umweltbelastung führte (ebd., S. 44).

Große Probleme warfen auch Müllverbrennung und (wilde) Deponien auf. In diesen Zusammenhang gehört der „Mülltourismus“, d.h. Importe von (giftigem) Abfall aus der Bundesrepublik, der vor allem auf dem Ihlenberg in der Sperrzone der innerdeutschen Grenze – unweit von Lübeck – „entsorgt“ wurde und die Kosten-Umwelt-Bilanz beider deutscher Staaten prägte.

Bewegung

Naturschutz ist kein neues Anliegen der Gegenwart. Bereits im 19. und 20. Jahrhundert gab es breitenwirksame Bewegungen. Motivation und geistesgeschichtliche Richtungen waren dabei durchaus divers. In der DDR wurde im Jahr 1954 ein (erneuertes) Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur erlassen; ein Jahr zuvor entstand das Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz bei der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften. Traditioneller Natur- und Landschaftsschutz war jedoch (noch) nicht gleichbedeutend mit Umweltschutz und stellte nicht unbedingt Bezüge zu gesundheitlichen Auswirkungen her. Erst in den 1970er Jahren entwickelte sich ein verändertes Bewusstsein, das sich auch im Wunsch nach Verbesserungen und direkten Aktionen niederschlug. Im staatlichen Kontext waren es die Massenorganisationen, die für Umweltbelange sensibilisierten. Innerhalb der Kammer der Technik wurde 1972 die zentrale Kommission „Umwelt“ gegründet. Acht Jahre später entstand im Rahmen des Kulturbundes die Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU), die sich rasch zur populärsten Gruppe entwickelte und 1989 fast 60.000 Mitglieder zählte – und somit etwa ein Viertel der Mitglieder des Kulturbundes vereinte (Ault 2019, S. 210). Unter dem „Dach der Kirche“ hingegen schlossen sich Menschen zusammen, die entweder aus christlichen Motiven heraus die Bewahrung der Schöpfung sichern wollten oder aber einfach Gleichgesinnte in einem nicht-staatlichen Kontext sowie einen geschützten Raum für die Durchsetzung ihrer Interessen suchten. Auch innerhalb des kirchlichen Rahmens gab es keine homogenen Gruppierungen. Dennoch breitete sich die Bewegung Mitte der 1980er Jahre aus: Zum einen wurden die Strukturen tragfähiger, zum anderen entstanden viele Gruppen auch in kleineren Städten, die nicht selten an die Arbeit der Jungen Gemeinde anknüpften. Dem Zugriff der behördlichen Organe war die Arbeit, sofern sie im kirchlichen Kontext stattfand, weitgehend entzogen. Das Forschungsheim in Wittenberg beispielsweise entwickelte sich zu einem Koordinationszentrum kirchlicher Umweltarbeit (Roesler 2006, S. 33 f.). Eine dezidiert distanzierte Haltung zur kirchlichen Arbeit nahm das „Grün-Ökologische Netzwerk Arche“ ein, Anfang des Jahres 1988 als Ökologischer Umweltbund „Arche“ gegründet: ein Zusammenschluss von etwa zehn Projektgruppen, die feste Struktur ablehnten und eine dezidiert distanzierte Haltung zur kirchlichen Arbeit einnahmen. Die gemeinsame Zeitschrift „Arche Nova“ erreichte eine Auflagenhöhe bis zu 2.000 Exemplaren.

Öffentliche Aktionen und „sichtbarer“ Widerstand formierten sich seit Ende der 1970er Jahre. Insbesondere junge Menschen führten erste öffentliche Aktionen durch. Eine Baumpflanzaktion in Schwerin beispielsweise wurde 1979 von drei 17-Jährigen organisiert. Auch Fahrraddemonstrationen wurden zu einem probaten Protestmittel. Für die staatlichen Behörden ergab sich das Problem der Einordnung solcher Aktionen: Umweltaktionen wurden in der Folge als negativ und oppositionelles Zeichen bewertet, Fahrräder zum politischen Symbol (gemacht).

Betroffene und besorgte Bürger*innen verschafften sich auch Luft durch das in der DDR verbreitete Beschwerdeformat Eingabe (Schreiben an kommunale politische Institutionen wie z. B. den Umweltminister, an Medienorgane etc.): Anfang der 1980er Jahre nahm das Thema Umweltverschmutzung deutlich zu. In Bitterfeld beispielsweise hielt die Zahl der Eingaben ein konstant hohes Niveau. Allein im Dezember 1986 waren es 32 Beschwerden (zum Teil mit mehreren Dutzend Unterzeichner*innen), die Hälfte davon stammte von der eigenen Belegschaft. Das heißt, die Klagen über zu hohe Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz waren von einem hohen Maß an Fachkenntnissen begleitet in Bezug auf den Grad der gesundheitsgefährdenden Wirkung von Emissionen (Möller 2015, S. 164).

Devastierung durch Tagebau bei Wirnitz, 1982, Foto: Friedrich Gahlbeck (BArch, Bild 183-1982-0830-001)
Devastierung durch Tagebau bei Wirnitz, 1982, Foto: Friedrich Gahlbeck (BArch, Bild 183-1982-0830-001)

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 wird als weitere Initialzündung für Aktivierung und Politisierung der Umweltbewegung angesehen: DDR-Bürger*innen wurden erst Tage später über das Ausmaß des Geschehens informiert, die Katastrophe heruntergespielt (Maurice 2019, 152). In diesem Jahr, im September 1986, erfolgte die Gründung der ersten Umweltbibliothek in Berlin – im Oppositionszentrum Zionskirche auf dem Prenzlauer Berg. Weitere Gründungen folgten: Bis 1989 gab es 17 Umweltbibliotheken, u.a. in Jena (Maurice 2019, S. 153 f.). Diese Einrichtungen boten Raum, um Informationen zu erhalten und zu bündeln, Dokumentationen anzulegen und Informationsveranstaltungen durchzuführen; die Umweltgruppe Schwerin etwa veranstaltete ab 1981 regelmäßige „Ökologieseminare“. Neben ökologischen Problemen wurden aber auch andere Themen wie Menschenrechte, Frieden und Reisefreiheit diskutiert. Unterschiedliche Medien, z.B. die „Umweltblätter“ der Berliner Umweltbibliothek, lancierten Themen und Informationen: Dieses DDR-weite Nachrichtenblatt mit einem Umfang von etwa 50 Seiten erreichte mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren eine weitaus größere Anzahl an Leser*innen. Denn die „Umweltblätter“ wurden nicht nur im „Original“ weitergereicht, sondern auch in Kopien (durch Vervielfältigungen und sogar Abtippen mit der Schreibmaschine) weiterverbreitet.

Umweltgruppen bewegten sich im rechtsfreien Raum, da nicht-staatliche Organisationen nicht zugelassen und ihre Handlungsmöglichkeiten beschränkt waren. Daher bemühten sich Gruppierungen zumeist um eine institutionelle Anbindung im staatlichen oder eben kirchlichen Rahmen. Wie gefährlich individuelles Engagement dennoch sein konnte, zeigt die Verhaftungsaktion „Aktion Falle“ im November 1987: Mitglieder des Staatssicherheitsdienstes stürmten die Umweltbibliothek der Zionskirche, um die Redakteure beim Druck einer illegalen Zeitschrift auf frischer Tat zu ertappen. Das Unternehmen scheiterte; die anwesenden Mitglieder wurden dennoch vorrübergehend festgenommen. In zahlreichen Städten fanden Protestaktionen wie z. B. Mahnwachen statt, die streng geahndet wurden und Konsequenzen hatten: Aus Saalfeld, Weimar und Erfurt wurden „Berlinverbote“ und „Zuführungen“ gemeldet (ThürAZ, OAUB-K-20.17). Für die Umweltbibliothek entwickelte sich die Aktion schließlich zum Erfolg, machte sie doch deren Existenz und Arbeit – über den Umweg Westfernsehen – erst richtig bekannt.

Die anhaltende gravierende Umweltzerstörung und -verschmutzung trug zu einem wachsenden Legitimationsdruck der SED bei. Im Herbst 1989 waren es daher – neben anderen politischen Forderungen – auch Umweltbelange, die das Regime ins Wanken brachten (Ault 2019, S. 224). „Gerade das Umweltthema einigte durch die unbestreitbare Notwendigkeit der Bewahrung der Lebensgrundlagen die unterschiedlichen, oppositionellen Ansätze und brachte die Menschen als mündige Bürger im Sommer/Herbst 1989 in den Katastrophengebieten in Sachsen und Sachsen-Anhalt, zuerst in die Kirchen und dann auf die Straßen“. Die Politisierung der Umweltbewegung führte 1989 zur Gründung der Grünen Partei der DDR und im Oktober 1990 dann zur Fusion der Parteien „Bündnis 90/Die Grünen“. Wegen Disparitäten in der „Vereinigungsgeschwindigkeit“ zwischen den Unternehmen in der DDR und der alten Bundesrepublik und wirtschaftspolitischen Maßgaben blieben jedoch die Möglichkeiten, gemeinsame Interessen zu formulieren und durchzusetzen, begrenzt.

Ira Spieker

Quellen und Literatur

  • Interview mit Martin Görner, geführt von Ira Spieker am 02.03.2020 in Jena.
  • Thüringer Archiv für Zeitgeschichte “Matthias Domaschk” (ThürAZ): OAUB-K-20.17.
  • Ault, Julia E.: Defending God’s Creation? The Environment in State, Church and Society in the German Democratic Republic, 1975–1989. In: German History 37 (2019) 2, S. 205-226.
  • Bruckmeier, Karl: Vorgeschichte und Entstehung der Bürgerbewegungen in der DDR. In: Haufe/Bruckmeier: Die Bürgerbewegungen in der DDR und in den ostdeutschen Bundesländern. Opladen 1993, S. 9-28.
  • Gehrke, Bernd/Rüddenklau, Wolfgang (Hg.): … das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende. Münster 1999.
  • Halbrock, Christian: Organisationsbedingungen der unabhängigen Umweltbewegung in der DDR. In: Gehrke/Rüddenklau (Hg.): … das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende. Münster 1999, S. 64-86.
  • Haufe, Gerda/Bruckmeier, Karl (Hg.): Die Bürgerbewegungen in der DDR und in den ostdeutschen Bundesländern. Opladen 1993.
  • Jordan, Carlo: Im Wandel – Ökologiebewegung und Grüne im Osten. In: Haufe/Bruckmeier: Die Bürgerbewegungen in der DDR und in den ostdeutschen Bundesländern. Opladen 1993, S. 240-260.
  • Maurice, Paul: Les mouvements environennementaux en République démocratique allemande. La naissance d’une écologie politique dans l’Allemagne communiste es années 1980. In: Allemagne d’aujoud’hui 228 (2019/2), S. 144-159.
  • Möller, Christian: Zwischen Gestaltungseuphorie, Versagen und Ohnmacht: Umwelt, Staat und volkseigene Wirtschaft in der DDR. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 60 (2015) 2, S. 141-167.
  • Petschow, Ulrich/Meyerhoff, Jürgen/Thomasberger, Claus: Umweltreport DDR. Bilanz der Zerstörung, Kosten der Sanierung, Strategien für den ökologischen Umbau. Frankfurt/M. 1990.
  • Roesler, Jörg: Umweltprobleme und Umweltpolitik in der DDR. Erfurt 2006 (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen)
  • Wagner, Falko: Folgen der Umgestaltung von Gewässerbett und Aue. In: Martin Görner (Hg.): Die Gewässer Thüringens. Jena 2011, S. 86-95.