Stadt am Fluss: Jena und die Saale

Mehr als 400 Kilometer legt die Saale von ihrem Ursprung im bayerischen Fichtelgebirge bis zur Mündung in die Elbe südlich von Magdeburg zurück – nach etwa der Hälfte der Strecke erreicht sie Jena. Ein Fluss gibt der Stadt ihren Charakter: Er prägt das Landschaftsbild und das Klima, beeinflusst die Geschichte und die Wirtschaft, verbindet und trennt. Die Saale ist der größte und wasserreichste Fluss Thüringens. Jena liegt im Mittleren Saaletal – einer geologisch wie historisch einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft. Die umgebenden Berge aus Muschelkalk speichern die Wärme und sorgen für milde Temperaturen – ideale Bedingungen für eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt.

Wasser – wozu?

Bereits im 12. Jahrhundert entstanden an der Unteren Saale erste Mühlenwehre zur Nutzung der Wasserkraft. Die Wehre waren während der „Flößtage“ geöffnet und dann für die Flößer, aber auch für Fische passierbar. Mit der Undurchlässigkeit solcher Querbauwerke sank die Population an Wanderfischen drastisch. Seit dem Ende des 18. Jahrhundert wurde der Lauf der Saale „begradigt“, Flussschlingen durchstochen. Die raschere Fließgeschwindigkeit diente vor allem Kraftwerken als Antriebskraft für Industrieanlagen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die ersten Talsperren gebaut: 40 gibt es allein in Thüringen. Sie dienen der Energiegewinnung, dem Hochwasserschutz und auch dem Tourismus. Einen hohen Bekanntheitsgrad hat die „Saalekaskade“, die aus fünf Anlagen besteht. Die Fließstrecke beträgt rund 70 Kilometer, die überstaute Fläche 1.800 Hektar. Die Bleilochtalsperre (1932 eröffnet) fasst das größte Stauvolumen Deutschlands. An Talsperren verwandeln sich Flüsse in Seen. Daher ändern sich die Zusammensetzung ihrer Lebensgemeinschaften und sogar die Temperaturen: Die Saale ist nun unterhalb des Staubeckens im Winter deutlich wärmer und im Sommer kälter. Dieser Effekt ist noch in Jena messbar, also 70 Kilometer entfernt (Wagner 2011, S. 87).

Flüsse sind Verkehrsstraßen und Siedlungsachsen, ihr Umfeld ist entsprechend stark bebaut. Das Saaletal ist – bedingt durch die Überschwemmungen – sehr fruchtbar. Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Auenlandschaft in großem Ausmaß trockengelegt, die Ufer befestigt. Die Versiegelung der Flächen durch Bebauung sowie die landwirtschaftliche Nutzung bis dicht an die Ufer bergen Gefahren: Verunreinigungen ebenso wie Hochwasserschäden. Zwar ist seit dem Bau der Talsperren die Wasserführung der Saale relativ gleichmäßig. Hochwasser können dennoch nicht verhindert werden. Das Erleben solcher Naturgewalten, die große Verwüstungen hinterlassen, schreibt sich tief in die (Stadt-)Geschichte ein. Nach jahrhundertelangem Fatalismus, mit dem solche Katastrophen hingenommen und mit mehr oder weniger Demut ertragen wurden, sollten schließlich Eingriffe wie Durchstiche von Flussschleifen und der Bau von Talsperren endgültige Abhilfe verschaffen. Trotz aller Technik kommt es jedoch nach wie vor zu Überschwemmungen: 1994 beispielsweise verwandelte sich die Baugrube der Goethe-Galerie in einen See, und die gesamte Oberaue einschließlich des Stadions von FC Carl Zeiss Jena war vollständig geflutet. Das letzte große Hochwasser fand 2013 statt. Viele Menschen behalten den Fluss daher – fast gewohnheitsmäßig – im Blick.

Na, ich überquere die Saale ja am Tag mindestens zweimal, um auf Arbeit zu gelangen. Und auch, wenn ich in die Stadt gehe: Entweder fahre ich mit dem Bus oder laufe über die Saalebrücke, und da halte ich eigentlich meistens inne und guck mir dann den Fluss an. Einfach um zu wissen, ob der jetzt irgendwie hoch steht. Da gibt’s so ein Graffiti an der einen Saaleseite, bei Hochwasser ist das teilweise im Wasser. Sieht man dann sofort. [… ]. Na ja, und ansonsten ist das natürlich immer ein schöner Blick, so über die Saale. (Interview mit Falk Förster*)

Nicht nur der wechselnde Wasserstand der Saale, sondern auch ihre Wasserqualität stellten ein Problem dar. Beeinträchtigt wurde diese durch die städtischen Abwässer: Schon zu DDR-Zeiten war Jenas Kanalsystem überaltert, dem Wachstum der Stadt nicht angepasst und wurde zudem durch hochaggressive Industrieabwässer zerstört. Abwässer gelangten im Mischsystem in die Saale. Die Wasserqualität des Flusses hat sich erst in den letzten Jahrzehnten grundlegend verbessert; das ist vor allem dem Anschluss an eine zentrale Kläranlage zu verdanken (Thieme 2017, 15). Grundlage dafür ist der Gewässerrahmenplan für Thüringen, ausgerichtet an der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie, die einen „guten Zustand“ bzw. ein „gutes ökologisches Potenzial“ für alle Gewässer erreichen will.

Wasser – Spiele

Baden zählt zu den „älteren“ Freizeitvergnügungen: Bereits im 18. Jahrhundert schwammen Studenten in der Saale. Ab 1842 gab es eine Fluss-Badeanstalt. Im Zuge der Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert verschlechterte sich die Wasserqualität jedoch drastisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg glich Baden wohl eher einem chemischen Experiment, wie sich ein Gesprächspartner erinnert:

Mit Baden in der Saale war zu der Zeit nichts. Ich bin auch davor gewarnt worden: Na, die war ja sehr arg verunreinigt gewesen hier. […] Da war manchmal Schaum auf der Saale und so‘n Zeug. Und das hat gerochen! Zum Baden war das nichts. Ich kenne das noch als kleiner Junge in den Fünfziger Jahren. (Interview mit Anton Kreuder*)

Und Ende der 1960er-Jahre fällten die Kreisbeauftragten für Naturschutz in Stadt- und Landkreis Jena ein vernichtendes Urteil:

„Das Saale, einst das silberne Band des Landschaftsschutzgebietes und Erholungsquell Tausender Badelustiger, hat diesen Nimbus längst eingebüßt. Hochaggressive Industrie- und Stadtabwässer werden in zunehmendem Maße ungeklärt eingeleitet, so daß das Baden aus hygienischen Gründen verboten werden mußte.“ (Görner/Fröhlich 1968, S. 47 f.)

Bereits in den 1970er-Jahren spielte das Mittlere Saaletal eine bedeutende Rolle für den Tourismus – ein Argument, mit dem auch die Naturschützer ihre Anliegen begründeten. Denn der „Wert“ dieser einzigartigen Landschaft ließ sich in Zahlen beziffern, bot sie doch Tausenden von werktätigen Menschen Erholung und war somit auch Wirtschaftsfaktor.

Heute ist die Saale – vor allem der Jena Paradies Park mit dem Volkspark Oberaue – wieder mit Freizeitaktivitäten und Erholung verbunden. Erholung im „Paradies“ – dieser Gedanke ist nicht neu. Bereits im 18. Jahrhundert waren die stadtnahen Grünflächen ein beliebtes Ausflugsziel, wenngleich der Ort seinem Namen nicht unbedingt immer gerecht wurde. Zahlreiche Künstler*innen haben das Jenaer Paradies in Wort und Bild festgehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der zerstörte Garten Eden mithilfe von freiwilligen oder angeordneten Arbeitseinsätzen neu gestaltet, der Volkspark Oberaue im Jahr 1958 feierlich eingeweiht. Flächenverlust und Beeinträchtigung durch Straßenbau verringerten den Erholungswert jedoch seit den 1960er-Jahren enorm. Lärm, Schutt und Abgase dominierten das Grün; die Saale verschwand aus dem städtischen Bewusstsein.

An der Saale spazieren zu gehen war nicht so interessant. Im Paradies manchmal, ja, als wir klein waren […]. Aber in der Regel sind wir in die Wälder gegangen oder auf die Berge. Sie können in Jena wohnen, wo Sie wollen. In 20 Minuten sind Sie im Wald oder auf dem Berg. Und das nutzt man natürlich hier. Und da die Saale immer wild gerochen hat, war das nicht so anziehend. (Interview mit Anton Kreuder*)

Pläne zur Neu- und Umgestaltung gab es in den letzten beiden Jahrzehnten viele, sowohl von Künstlerinitiativen als auch aus der Bevölkerung, als Reaktion auf den Ideenwettbewerb „Wie meine Saale sein soll“ 2005/2006. Die Stadt Jena verabschiedete 2009 ihr Entwicklungskonzept „Mittleres Saaletal um Jena – eine bedeutende Kulturlandschaft Europas“, das eine „gestaltete, erlebbare Flusslandschaft“ vorsieht: In Ufernähe entstanden Fuß- und Radwege, Biodiversität und Regenerationsfähigkeit des Flusses sollten gestärkt werden. Auch die Anlage des Landschaftsparks Saalebogen zwischen Göschwitz und Lobeda-West gehört zu diesen Maßnahmen: Der Fluss ist nunmehr Naherholungsziel sowohl für die Anwohner*innen wie auch für die Beschäftigten im Industriepark.

Das Camsdorfer Ufer ist mittlerweile ebenfalls ein beliebter Ort zum Wandern, Radfahren oder einfach zum Verweilen. Noch 1971 bot sich hier „ein wenig schönes Bild“ – und das lag nicht allein an Treibholz, umgestürzten Bäumen und Rodungen. Auch die Müllkippe in Winzerla trug dazu bei, aber hier bestanden konkrete Pläne: „Nach dem letzten Müllwagen werden Lastwagen mit Mutterboden die Winzerla Kippe befahren und das Gebiet so vorbereiten, daß es dem Kleingartenverband zur Nutzung übergeben werden kann“ (TLZ v. 11.03.1971). Offenbar währte die Gartennutzung nicht allzu lange, denn erst 25 Jahre später hieß es endgültig „Die Idylle kehrt zurück“. Die dafür notwendigen Aufräumarbeiten hatten beachtliche Ausmaße: Allein 17 Container Müll und Bauschutt wurden zwischen Camsdorfer Brücke und Griesbrücke abtransportiert, Betonplatten beseitigt und, Boden aufgebracht, Pflanzungen und neue Wege angelegt (TLZ v. 04.07.1996).

Camsdorfer Ufer (Aufnahme: Ira Spieker, 17.05.2019)
Camsdorfer Ufer

Leben am und mit dem Fluss bedeutet Leben mit unterschiedlichen Interessen: Naturschutz und Erhaltung von Biodiversität, Hochwasserschutz und Bebauung, Landwirtschaft und Fischerei, Wasserkraftnutzung und Tourismus stehen sich oftmals diametral gegenüber. Hier gilt es, die wechselseitigen Verbindungen und Abhängigkeiten von Mensch und Umwelt zu beachten und in ein Gleichgewicht zu bringen.

Ira Spieker

 

Quellen und Literatur

  • Interview mit Anton Kreuder*, geführt von Ira Spieker am 07.02.2020 in Jena.
  • Interview mit Falk Förster*, geführt von Ira Spieker am 02.03.2020 in Jena.
  • Stadtarchiv Jena, Zeitungarchiv:
    • Müller: Landeskultur ist ein ständiger Auftrag. Zum Beispiel die Saaleufer – Neue Kleingärtner auf alter Müllkippe, in: Thüringer Landeszeitung vom 11.03.1971.
    • Die Idylle kehrt zurück. Aufräumen am Saaleufer: Neuanpflanzungen, der Müll ist weg und ein neuer Weg ist da, in: Thüringer Landeszeitung vom 04.07.1996.
  • Görner, Martin/Fröhlich, Georg: Jena und sein Saaletal. Ein Buch für alle, die ihre Heimatnatur lieben, Pflegen und schützen. Jena 1968.
  • Kemmler, Gerhard: Wehre und Querbauwerke. In: Martin Görner (Hg.): Die Gewässer Thüringens. Jena 2011, S. 282-287.
  • Stadt Jena (Hg.):Landschaftsplan der Stadt Jena 2016. Erläuterungsbericht. Jena 2016, URL: https://umwelt.jena.de/sites/default/files/2019-03/landschaftsplan_2016_bericht.pdf.
  • Thieme, Teresa: Lebensraum Saale. Leben im, am und mit dem Fluss. In: dies. (Hg.): Jena und die Saale im Wandel der Zeit. Jena 2017, S. 8-23.
  • Wagner, Falko: Folgen der Umgestaltung von Gewässerbett und Aue. In: Martin Görner: Die Gewässer Thüringens. Jena 2011, S. 86-95.
  • Weilandt, Doris: Hinaus in die Natur. Baden, Wandern und Flanieren im Saaletal bei Jena. In: Teresa Thieme (Hg.): Jena und die Saale im Wandel der Zeit. Jena 2017, S. 178-189.