Saalbahnhof – vom Hauptbahnhof zum Abstellgleis
Der Saalbahnhof wurde am 1. Mai 1874 als eine der ersten Bahnstationen in Jena eröffnet. Er war der Hauptbahnhof der Universitätsstadt und diente für den Fern-, Regional- und Güterverkehr. Das Empfangsgebäude war zur Eröffnung noch ein Provisorium. Erst 1879 wurde der repräsentative Neubau fertiggestellt. Der Bahnhof galt zu seiner Entstehungszeit als fortschrittlich und modern. Ab 1890 wurde beispielsweise elektrische Beleuchtung installiert und die zuvor genutzten Gaslaternen abmontiert. Die Nutzung für den Güterverkehr bedingte 1905 den Umbau zu einem zweigleisigen Bahnhof. Die Bauarbeiten wurden 1912 mit einem Fußgängertunnel zwischen den Gleisen abgeschlossen. Bis zum Jahr 1922 fanden weitere Maßnahmen zur Erweiterung des Güterbahnhofs statt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Saalbahnhof, Gleisanlagen und Empfangsgebäude, am 9. April 1945 fast vollständig durch einen Bombenangriff zerstört. Bereits vier Monate später, am 5. August 1945, war die Gleisanlage wieder befahrbar. Eine Baracke sollte für die nächsten 20 Jahre als provisorisches Empfangsgebäude dienen. Mitte der 1960er Jahre wurde das Eingangsgebäude dann als Teil eines der ersten sozialistischen Bahnhöfe Jenas neu gebaut. Das Gebäude wurde 1965 eröffnet. Ein Wandbild des Malers und Musikers Kurt Hanf, der seit den 1950er Jahren Kunstobjekte für öffentliche Bauten gestaltete, schmückt bis heute den Bau. Das große, goldene Wandbild wurde im Stil des sozialistischen Realismus gestaltet und verkörpert Wertvorstellungen der DDR.
Bedeutungsverlust nach der Wende
Am 1. Juni 1992 erreichte der erste IC „Thomaner“ auf der Strecke von Leipzig nach München den Jenaer Saalbahnhof. Als Hauptbahnhof wurde er somit an den Fernverkehr angebunden. Doch bereits zwei Jahre später erfolgte 1994 eine Bahnreform: Die Dienststelle des Saalbahnhofes wurde aufgelöst. Die Fahrkartenverkäufer*innen arbeiteten fortan beim Paradiesbahnhof; lediglich eine Verkäuferin blieb bis Ende 1999 im Saalbahnhof. Die Bedeutung der Verkehrsanlage sank abermals drastisch im September 1999 mit dem Beschluss, den Jenaer Paradiesbahnhof bis 2002 zum Hauptbahnhof auszubauen. Der Saalbahnhof wird seitdem nur noch als Halt für den Regionalverkehr genutzt. Infolge dieser Entwicklungen ging der Umsatz in den Läden vor dem Bahnhofsgebäude zurück. In den Jahren 1999 und 2000 gaben die Geschäfte ihren Betrieb auf; zuletzt schloss die einstige Imbissbude „Happy Shop“.
Mit dem Bedeutungsverlust des Saalbahnhofs als Verkehrsanlage ging die Entwicklung von alternativen Nutzungskonzepten einher: Im Jahr 1999 wurde das ehemalige Bahnhofsvorgebäude an den Verein JenKultig e.V. vermietet. Der Verein baute das Empfangsgebäude in der Folge zum Kulturbahnhof aus.
Für den Zugang zu den Gleisen an der Rückseite des Empfangsgebäudes wurde ein kleiner Weg angelegt. Im Jahr 2006 baute die Deutsche Bahn die Gleisanlage auf Regionalbahnlänge zurück und renovierte den Tunnel von der Grießbrücke zur Saalbahnhofstraße, als Unterführung zu den Bahngleisen.
Ende des einstigen Jenaer Hauptbahnhofs
Nach dem extremen Bedeutungsverlust des einstigen Hauptbahnhofs und seiner rückläufigen Nutzung gab die Deutsche Bahn das Gelände des Saalbahnhofs schließlich auf fasste den Entschluss, die Anlage zu verkaufen. Die Gleise werden heute nur noch für die Durchfahrt von Fern- und Güterverkehr und als Haltstelle für den Regionalverkehr genutzt.
Im Jahr 2008 schließlich fiel die Entscheidung, das ehemalige Empfangsgebäude an den Vorsitzenden des Vereins JenKultig e.V. zu verkaufen. Der Verein war bereits seit 1999 als Mieter im Saalbahnhof vertreten und erweckte die Anlage durch sein kulturelles Angebot zu neuem Leben. [Link: Kulturbahnhof] Zum Zeitpunkt des Verkaufs war das Gebäude in die Denkmalkarte Jena als Kulturdenkmal mit der Nummer 184 aufgenommen: „Aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen sind das Gebäude und Teile seiner Ausstattung unter staatlichen Schutz gestellt".
Das Gelände des Saalbahnhofs wurde 2015 an eine Immobiliengesellschaft verkauft. Das Unternehmen errichtete dort ein fünfstöckiges Wohnheim mit Platz für 150 Studierende (eröffnet 2019), ein Gebäude für gewerbliche Nutzung, eine Tanzschule sowie ein Café. Büroräume, Café und Tanzschule konnten 2018 eröffnet werden. Bei diesem Ensemble wurde ein Denkmal für die Olsenbande (Gaunertrio aus einer Reihe von Filmkomödien, die vor allem in der DDR Kultustatus erlangte) installiert. Den Impuls dafür gab ein Tresor, der bei der Sanierung des ehemaligen Güterschuppens gefunden worden war. Er wurde schließlich zum Bestandteil des Denkmals.
Lediglich der Vorplatz des Saalbahnhofs wirkt heute noch wie ein vergessener Ort. Zwar hatte ein Kandidat im Zusammenhang mit der Oberbürgermeisterwahl im Frühjahr 2019 den Vorschlag verkündet, hier den Orchideenbrunnen des alten Eichplatzes [Link: Eichplatz] zu installieren. Bisher sind allerdings noch keine Veränderungen absehbar – der Platz wartet weiterhin auf kreative Umgestaltung.
Maxi Fücker
Quellen und Literatur
Stadtarchiv Jena, Zeitungsarchiv:
- „Thomaner“ erreicht als erster IC Jena, in: Ostthüringer Zeitung vom 01.06.1992.
- Thomas Spanier: Wenn ein Bahnhof leise stirbt, in: Ostthüringer Zeitung von 23.09.1999.
- Frank Döbert: Der Saalbahnhof wandelt sich zum soziokulturellen Zentrum, in: Ostthüringer Zeitung vom 15.01.2000.
- Thomas Bernst: Bahn schrumpft den Saalbahnhof, in: Thüringer Landeszeitung vom 03.02.2006.
- Saalbahnhof steht bald zum Verkauf, in: Thüringer Landeszeitung vom 01.04.2006.
- Eichler: Kultur im Saalbahnhof von Kündigung bedroht, in: Ostthüringer Zeitung vom 06.10.2006.
- Babara Glasser: Kommerz und Kultur im Bahnhof, in: Thüringer Landeszeitung vom 02.08.2007.
- Barbara Glasser: Der Saalbahnhof ist nun verkauft, in: Thüringer Landeszeitung vom 01.07.2008.
- Gelände des Saalbahnhofes wird umgebaut, in: Ostthüringer Zeitung vom 16.12.2015.
- Thomas Beier: Etwas Phantasie gehört schon dazu, in: Ostthüringer Zeitung vom 16.12.2015.
- Thomas Beier: Da waren Profis am Werk, in: Ostthüringer Zeitung vom 17.02.2018.
- Thomas Stridde: Der vergessene Vorplatz, in: Ostthüringer Zeitung vom 28.03.2019.
- https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/person/1227
- http://www.kulturbahnhof.org/ho.html
- Stutz, Rüdiger/ Mieth, Matias (Hg.): Jena. Lexikon zur Stadtgeschichte. Berching 2018.