Punks in der DDR
Anfänge einer subkulturellen Bewegung
Die Punkbewegung orientierte sich auch in der DDR an westlichen Vorbildern. Beispielgebend waren Bands wie die US-amerikanischen Dead Kennedys, die britischen Sex Pistols, aber auch die deutsche Band Ton Steine Scherben. DDR-Bürger*innen hörten diese Musik – natürlich unerlaubt – beispielsweise über den britischen Sender BFBS, wie ein Punkmusiker aus Magdeburg beschreibt:
„Dann schwappte auch so ein bisschen die Punkmusik rüber, und wir haben dann halt immer den britischen Soldatensender gehört, BFBS. Da kam dann einmal in der Woche „John Peel Music“, und ja, da habe ich halt gemerkt: Oh Punkrock, das ist ziemlich geil!“ (Interview mit Shanghai Drenger)
Jugendliche in der DDR konnten ihre Bedürfnisse und Vorlieben zumeist nicht frei ausleben. Der Konsum von Westmedien war untersagt. Die staatliche Jugendpolitik, vorwiegend in der „Freien Deutsche Jugend“ (FDJ) institutionalisiert, sollte Staatstreue und die Verbundenheit zum Sozialismus befördern. Ein aufkeimendes Bewusstsein der eigenen Identität und Individualität hatte wenig Platz. Umso reizvoller erschienen subkulturelle Bewegungen. Schließlich sind Subkulturen Teilbereiche einer bestehenden Gesellschaft, deren eigene Normen, Werte, Traditionen und Rituale sich von jenen der Mehrheit grundlegend unterscheiden. Zunächst etablierten sich alternative Szenen wie Hippies („Tramper“), die mit ihrer freiheitlichen und progressiven Lebensweise Aufsehen erregten. Vor allem aber brachte der Punk Freiheitsliebe und Nonkonformismus stark und unübersehbar zum Ausdruck: „Punk in der DDR [war] geprägt von Freiraumsuche und Selbstbehauptung“ (Hahn 2013, S. 1).
Die erste Phase: Punkbands gründen sich
Die erste Punkphase verlief zwischen 1979 und 1983. Es entstanden Musikgruppen wie die Berliner Bands Planlos, Rosa Extra und Namenlos sowie Vitamin A (1982) aus Magdeburg. Auch in Thüringen gründeten sich Gruppen, wie etwa im Jahr 1979 die Band Schleimkeim um Dieter „Otze“ Ehrlich und die Weimarer Madmans. Unterschiede zwischen den Thüringer Städten lassen sich insbesondere in Bezug auf die soziale Herkunft der Punks feststellen: So kamen die Weimarer Anhänger*innen vornehmlich aus dem bürgerlichen Milieu, während die Erfurter Szene eher durch Arbeiterkinder geprägt wurde. Das erste Thüringer Punkkonzert und zugleich der erste Auftritt von Schleimkeim fand am 11. Dezember 1981 im Johannes-Lang-Haus in Erfurt statt und wurde von ca. 200 Jugendlichen besucht (Hahn 2009, S. 14). Zwei Jahre später war ihre Schallplatte, eine Split-LP zusammen mit Zwitschermaschine, die erste Vinylpressung einer DDR-Punkband.
In dieser ersten Phase ergriff der Staatsapparat besonders harte Maßnahmen: Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke forderte „Härte gegen Punks“ und wollte die Straßen von „Unrat“ befreien (Galenza 2013, S. 9). Viele Punks wurden inhaftiert, im frühestmöglichen Alter von der Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen oder sogar des Landes verwiesen. Als Legitimation diente zumeist ein vermeintlicher Verstoß gegen den Paragrafen 220 („Herabwürdigung staatlicher Organe und Persönlichkeiten“). Als „Herabwürdigung“ galt bereits das äußere Erscheinungsbild, wenn es als „negativ-dekadentes Aussehen“ betitelt wurde, oder die Verweigerung einer Ausweiskontrolle, darüber hinaus aber auch der staatskritisierende Inhalt von Songtexten. So konnte es für Bands gefährlich werden, wenn ihre Texte bei Hausdurchsuchungen konfisziert wurden. Schikane, Kriminalisierung und Einschüchterungsversuche setzten sich in den 1980er Jahren fort. Zusätzlich versuchte die Stasi durch Einsetzung von „Inoffiziellen Mitarbeiter*innen“ (IM) Misstrauen zwischen und in den Bands zu schüren und die Szene dadurch von innen zu zerrütten. Eine ähnliche Zersetzungsstrategie wurde bei der Jungen Gemeinde Stadtmitte in Jena angewandt. Auch die Jenaer Punks bekamen die Repressionen zu spüren:
„Durch das Punk-Outfit konnte man überhaupt nicht mehr ausweichen, wollte man auch nicht mehr. Also da war man dann in der Freizeit, in der Schule, immer erkennbar auch als jemand, der kritisch ist und nicht angepasst ist. Und das hat man dann natürlich auch durch Polizeikontrollen zu spüren bekommen, durch Gängeleien.“ [...]
„Wenn man als Gruppe unterwegs war, wurde man grundsätzlich kontrolliert und wenn das Äußere nicht gestimmt hat, also wenn man nicht angepasst war, dann wurde man umso mehr kontrolliert. Es wurde auch eingeschüchtert, indem die manchmal Namen aufgeschrieben haben oder so getan haben, als ob sie sich das merken. Zum Teil sind wir auch mit Namen angesprochen worden.“ (Interview mit Matthias Schmidt*)
Die zweite Phase: Punks werden offensiver, die Szene öffentlicher
Diese zweite Phase war ab 1982/83 zunächst in der Weimarer Szene präsent: Bands wie MOfN und Der Rest wurden von Mitgliedern der Madmans und Ernst F. All gegründet. 1981 gab es in Weimar etwa 20 bis 25 Punks (Hahn 2009, S. 20). Bands der ersten Stunde existierten weiter, auch wenn etliche Mitglieder ausreisen mussten, inhaftiert waren oder von der NVA eingezogen wurden. Dieser massive Präsenzverlust beendete die erste Phase. Nachdem sich der Punk in Weimar etablierte, griff er schließlich auch auf Jena über. Die Junge Gemeinde Stadtmitte wurde zum zentralen Treffpunkt. Ein Interviewpartner beschreibt die Jenaer Punkszene folgendermaßen:
„Es gab welche, die waren eher künstlerisch orientiert. Dann gab’s welche, die waren sehr stark mit der Ausreise-Bewegung involviert, und dann gab’s welche, die eher getrunken haben und Spaß gehabt haben. Also auf alle Fälle gab’s verschiedene Gruppierungen. Es war nicht so homogen. Punk lebt auch davon, dass man andere wieder trifft, und so viele Punks gab’s nicht, als dass man die nicht hätte alle gekannt.“ (Interview mit Matthias Schmidt*)
Ab 1985 agierte die Punkszene zunehmend öffentlicher und offensiver. Es entstanden viele neue Bands, besonders auch in Thüringen. So zum Beispiel die Sperma Combo zwischen 1986/87 und die Vereinigten Chaoten 1988. Ab 1986 gab es die Radiosendung „Parocktikum“, die neben der Musik von internationalen und westdeutschen Punkbands auch regionale Bands spielte. „Parocktikum“ wurde bis 1993 auf dem DDR-Jugendsender DT-64 ausgestrahlt. Zu dieser Zeit fand auch in Rudolstadt die mehrtägige kirchliche Veranstaltung „Jugend 86“ statt, an der unter anderen etwa 150 Punks teilnahmen (Hahn 2013, S. 7). Generell gab es aber nur wenige Auftrittsmöglichkeiten, trotz des Engagements der evangelischen Kirche. Oft wurden kleine Konzerte in privaten Räumlichkeiten abgehalten, bei Bandproben versammelte sich der Freundeskreis als Zuhörerschaft. Daher fand die Musik vor allem über Tonträger wie Kassetten Verbreitung. Beispielhaft hierfür steht die „Hinterhofproduction“ von Thomas „Kaktus“ Grund. Er gründete das Label bereits Mitte der 1970er Jahre und veröffentlichte darüber eine Vielzahl an eigenen Proberaum- oder Konzertaufnahmen.
Zusätzlich erschwert wurden Auftritte durch eine besondere Regelung in der DDR: Bands mussten sich behördlicherseits offiziell als „Musikkapelle“ einstufen lassen. Hierbei wurde geprüft, ob die Band ideologisch mit den Zielsetzungen der sozialistischen Gesellschaft übereinstimmte. Die entsprechende Bestätigung hieß umgangssprachlich „Pappe“; sie war erforderlich, um offiziell als Band agieren zu können. Das kam für viele Punks nicht in Frage – ganz abgesehen davon, dass sie diesen Schein ohnehin nie erhalten hätten.
Die dritte Phase ab 1985: Politische Spaltung
Diese letzte Phase des DDR-Punks begann Mitte der 1980er Jahre und endete zeitgleich mit der DDR. In diese Zeit fällt die aufkommende Spaltung der Szene in eine rechte Gegenkultur und die Herausbildung einer noch heterogeneren Skinheadszene, in der sich unter anderem Hooligans und Neonazis sammelten. Ein bekanntes Ereignis ist der Angriff auf die Ost-Berliner Zionskirche: Im Oktober 1987 überfielen Skinheads dort ein Konzert von Element of Crime und Die Firma. Erst Wochen später kam es zu einigen wenigen Verurteilungen von beteiligten rechten Skins. Diese Entwicklung lässt sich vor dem Hintergrund nachvollziehen, dass Punk in der DDR „als Mutter der Skinheadkultur“ gilt (Hahn 2009, S. 51). Zeitgleich verlor der Punk seine Anziehungskraft: Jugendliche wollten sich verstärkt von dem Klischee der pöbelnden und betrunkenen Punks abgrenzen, zumal dieses Auftreten immer wieder auch zu Konflikten in den kirchlichen Freiräumen führte. Bei manchen ehemaligen Punks änderte sich das Aussehen hin zu einer Uniformierung: Der Irokesenschnitt wurde gegen „Röhrenjeans, Bomberjacke und kurze Haare“ getauscht (Hahn 2009, S. 51). Das Abdriften in rechte Strukturen nahm dabei insbesondere im Kontext der „Wendezeit“ seinen Lauf. Einige vormalige Punks schlossen sich der rechten Szene an, wie ein Zeitzeuge aus Jena berichtet:
„Man muss eben sagen, auch aus der Punk-Szene sind Leute da in das Nazilager gewechselt […]. Bei manchen ging der Wechsel so schnell […], das waren aber meistens auch solche, die gewaltaffin waren. Aber was dann zum Mauerfall kam, das hatte nochmal eine andere Qualität, weil sie dann sofort auf der anderen ideologischen Spur waren, und das war schon komisch. – Das ist ein schräges Kapitel.“ (Interview mit Matthias Schmidt*)
Was bleibt?
In der DDR diente die Kirche als Schutzraum für subkulturelle Bewegungen, denn Punks befanden sich durch ihre Szenezugehörigkeit in latenter Gefahr. Doch gestaltete sich das Verhältnis zur Kirche nicht immer reibungslos. So wurden beispielsweise Punks in der Erfurter Offenen Arbeit nach Zwischenfällen, bei denen viel Alkohol im Spiel war, kurzerhand wieder aus den Räumlichkeiten verbannt. Im Westteil Deutschlands stießen Punks mit ihrer lauten Musik und den schrillen Looks ebenfalls auf Ablehnung. Sie hatten in der Regel jedoch wegen ihrer bloßen Identifizierung mit der Szene keine konkrete Bedrohung zu fürchten wie die DDR-Punks. Diese mussten darüber hinaus mehr improvisieren als „West“-Punks. Beispielsweise mussten sie Kleidung und Accessoires selbst herstellen und sich Jugendzeitschriften mit Postern diverser Punkbands von Westverwandten einschmuggeln lassen.
„Man war ja in so einer Leidens- und Notgemeinschaft.“ – „Es hat einem ja Kraft gegeben, dass es noch andere gab und dass man eben nicht ganz allein unterwegs war.“ (Interview mit Matthias Schmidt*)
Punks in der DDR waren Teil der öffentlichen Wahrnehmung und fristeten kein Schattendasein. Dennoch blieb die Szene überschaubar. Anfang der 1980er Jahre gab es etwa 900 Punks DDR-weit (Hahn 2013, S. 4). Lediglich fünf Prozent der DDR-Jugend ließen sich einer Subkultur zuordnen (ebd., S. 2), auch wenn das repressive Auftreten des Staates den Eindruck entstehen lässt, es seien mehr gewesen. Dennoch bildeten sie eine nicht unbedeutende Minderheit: Sie ließen sich nicht in eine Form pressen, lebten ihre Individualität und befreiten sich von gesellschaftlichen Zwängen. Zudem waren einige Punks in der „Wendezeit“ politisch aktiv und beteiligten sich – auch in Jena – an verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen.
„Manchmal habe ich schon das Gefühl, DDR-Punk wird ein bisschen überbewertet. Also wir waren ein kleiner Teil der Oppositionsszene. Ein kleiner Teil, und auch nicht alle aus der Punkszene waren in der Opposition […]. Aber wir waren halt irgendwie alle zusammen, die dann die große Kraft entwickelt haben. […] Punk ist Punk. Egal wo. […] Das ist eine weltumspannende Idee, die nach wie vor immer noch lebt.“ (Interview mit Shanghai Drenger)
Eva Dieckmann
Quellen und Literatur
- Interview mit Shanghai Drenger, geführt von Eva Dieckmann am 28. November 2019 in Weimar .
- Interview mit Matthias Schmidt*, geführt von Eva Dieckmann am 02. Januar 2020 in Jena.
- http://podcast.parocktikum.de/about-parocktikum-de/
- Thüringer Archiv für Zeitgeschichte “Matthias Domaschk” (ThürAZ): P-GT-K-06.03 DVD „Mach ma Mugge rein. Politisierung durch Musik in der Diktatur des Proletariats 1970-1989.“ Hinterhofproduction Jena 2011, 91min.
- ThürAZ: ZeZe-G-01.09.
- Galenza, Ronald/Havemeister, Heinz: Wir wollen immer artig sein. Punk, New Wave, Hiphop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990. Berlin 2013.
- Hahn, Anne: Pogo im Bratwurstland. Punk in Thüringen. Erfurt 2009.
- Hahn, Anne: Disteln mit spitzen Zacken dran: Punk. In: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen (Hg.): Thüringer Blätter zur Landeskunde. Erfurt 2013. (o.S.)
- Wurschi, Peter: Jugendliche Subkulturen im Thüringer Raum 1952–1989. Köln 2007.