Kunst im Stadtteil Lobeda

Kunst begegnet uns in den meisten Städten und auch in Dörfern. Seien es Denkmäler wie der „Hanfried“ auf dem Jenaer Markt, seien es kunstvoll gestaltete Brunnen, Plastiken oder Wandgemälde. Manchmal unbeachtet, manchmal auffällig und provokativ.

Funktion und Bedeutung von Kunst in der DDR

Die Kunst der DDR hatte – zumindest aus staatlicher Sicht – bestimmte Funktionen zu erfüllen. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) beanspruchte für sich das Erbe der deutschen Kultur zu bewahren und weiterzuführen. Gemeint waren damit vor allem die humanistischen Werke der Weimarer Klassik wie Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Das Ideal des Humanismus, aus der griechisch-römischen Antike, stellt die Menschlichkeit und die Würde des einzelnen Menschen in den Vordergrund. Wie das Schlagwort von der „Kunst als Waffe“ belegt, wollte sich die SED als Gegenbild zur „imperialistischen Unkultur“ des Westens positionieren. Dem westlichen Kapitalismus und seiner Kultur wurde vorgeworfen, den Menschen herabzuwürdigen. Da sich die DDR vor allem durch den Antifaschismus legitimierte, galt es auch dieses Ideal in Kunst und Kultur zu verdeutlichen.

In der Verfassung der DDR von 1974 war „Kultur” als Grundlage der sozialistischen Gesellschaft festgeschrieben. Die Bevölkerung sollte sich dementsprechend mit Kunstobjekten und kulturellen Ausdrucksformen auseinandersetzen. Dabei kam der Kunst im öffentlichen Raum eine besondere Rolle zu, denn sie war als Teil des Alltags ständig präsent: auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule, auf öffentlichen Plätzen und an Häuserfassaden.

Neben dieser erzieherischen Aufgabe hatte Kunst in der DDR noch weitere Funktionen: In Großwohnsiedlungen wie Neulobeda sollte die künstlerische Gestaltung der Umgebung den Anwohner*innen dabei helfen, eine Beziehung zu ihrem Wohnort aufzubauen und sich damit zu identifizieren. Die grauen Fassaden der Wohnblöcke wurden verschönert, die Gleichförmigkeit der Bauten aufgelockert. Beispielhaft für eine solche Fassadengestaltung ist das sogenannte Jena-Haus in der Erlanger Allee in Lobeda-Ost (Künstler: Günter Kerzig, Gerhard Löwe, 1981). Und nicht zuletzt sorgten Wandbilder und Mosaike in den monotonen Wohnanlagen auch für Orientierung. Da die Häuser baulich und optisch komplett identisch waren, half die unterschiedliche Gestaltung der Hauswände dabei, den richtigen Hauseingang zu finden.

Themen, Ideale und Kritik?

Schaxelschule in Neulobeda; Metallarbeit von Kurt Opitz, um 1970 (Fotosammlung Stadtmuseum)
Schaxelschule in Neulobeda;
Metallarbeit von Kurt Opitz, um 1970

In den 1960er und 1970er Jahren war auf staatspolitischer Ebene vor allem das Thema Raumfahrt dominant. Jena spielte eine bedeutende Rolle bei dem Wettlauf ins All zwischen Ost und West, denn der VEB Carl Zeiss – mit über 32.000 Mitarbeiter*innen in Jena (1987) – erforschte und entwickelte technisches Gerät für die Raumfahrt. Der Künstler Kurt Opitz setzte sich mit diesen Entwicklungen in einer Metallarbeit auseinander, die 1971 an der damaligen Polytechnischen Oberschule (POS) „Julius Schaxel“ (heute Saaletalschule) in der Karl-Marx-Alleeangebracht wurde. Die Metallarbeit zeigt die Entwicklung von Flugkörpern in abstrakter Form.

Bronze „Sportlerin“ von Eberhard Repphold 1978 (Privataufnahme Januar 2020)
Bronze „Sportlerin“
von Eberhard Repphold 1978

Plastiken wie die „Sportlerin“ (Künstler: Eberhard Repphold, 1978), die heute vor der Galerie in Lobeda-West ihren Platz gefunden hat, verkörpern ein idealisiertes zeitgenössisches Frauenbild. Zudem prägen Thematisierung und Darstellung von Nacktheit und weiblichem Selbstbewusstsein noch heute das Bild der DDR: Emanzipation und Freikörperkultur (FKK) als – heute oftmals zitierte – spezielle Phänomene werden als Teile eines Lebensgefühls präsentiert. Der Titel der Bronze verweist hingegen auf die Bedeutung von körperlicher Ertüchtigung in der sozialistischen Gesellschaft. Die körperliche Gesundheit von Bürger*innen, gefördert durch Sport sollte der Entwicklung der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Zudem war der Sport eine Disziplin, in der sich die DDR gegenüber dem Westen profilieren konnte. Die Plastik bleibt aber auch für unsere gegenwärtige Gesellschaft noch bezeichnend. Sport und eine gesunde Lebensweise sind zentrale Themen im öffentlichen Diskurs.

Neben der „Sportlerin“ befindet sich eine weitere Bronze, die den Titel „Schreitender II“ trägt (Künstler: Lutz-Claus Gädicke, 1978/79). Im Gegensatz zu ihrer Nachbarin wirkt die männliche Plastik verunsichert und skeptisch. Aus kunsthistorischer Perspektive ist dies eine „Anspielung auf die Zustände: meist kritische Fragen, die […] in aller Öffentlichkeit im Raum stehen“ (Interview mit Doris Weilandt).

Plastiken mit Bezug zur griechisch-römischen Mythologie, wie der „Neptun“ auf dem Salvador-Allende- Platz (Künstler: Axel Schulz, 1985), verweisen auf Bildungsideale des Humanismus, in dessen Tradition sich die DDR stellte. Auch nach 1989/90 entstanden noch Plastiken mit Bezug zur antiken Mythologie. Die „Drei Moiren“ oder „Schicksalsgöttinnen“ (Künstlerin: Anne-Katrin Altwein, 2004) thematisieren die Endlichkeit des Lebens. Die Skulpturen entstanden im Rahmen eines Wettbewerbs zur künstlerischen Gestaltung des neugebauten Klinikums in Lobeda-Ost. Sie wurden im Jahr 2012 in den Paradiespark versetzt, als der zweite Bauabschnitt der Klinik eröffnet wurde.

In Lobeda befinden sich im öffentlichen Raum zudem zahlreiche Tierplastiken des Bildhauers Volkmar Kühn, der zeitweise als Tierpfleger arbeitete. In einem Innenhof der Liselotte-Hermann-Straße steht beispielsweise die Plastik „Sich wälzendes Pferd“ (1983). Solche Tierplastiken sind vor allem bei Kindern beliebt: Blank geriebene Stellen der Bronze zeigen, dass die Kunstobjekte gerne und oft als Kletter- und Spielgeräte genutzt werden.

Bronze „Sich wälzendes Pferd“ von Volkmar Kühn 1983 (Privataufnahme Januar 2020)
Bronze „Sich wälzendes Pferd“ von Volkmar Kühn 1983

Umbruchszeiten in den 1990er Jahren

Die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 stellten für viele Menschen einen Bruch ihrer Lebenssituation dar. Innerhalb kürzester Zeit mussten sich die ehemaligen DDR-Bürger*innen in einem neuen System zurechtfinden. Ihr bisheriger Alltag verlor seine Routinen, ihre Lebensweise die Legitimation. Selbstverständlichkeiten wurden in Frage gestellt. In diesem Kontext wurden auch der Plattenbau und die (öffentliche) Kunst der DDR zu Symbolen des alten Systems, das es zu überwinden galt. Viele Kunstwerke aus dem ehemaligen Kulturzentrum, das sich in der Karl-Marx-Allee befand, sind heute nicht mehr vorhanden.  Einige Plastiken, die im Stadtteil installiert waren, wurden vermutlich gestohlen.

DDR-Kunst im öffentlichen Raum ist aber auch eine Konstante und bietet Kontinuität. Wende und Wiedervereinigung führten zu radikalen und tiefgreifenden Veränderungen im Alltag. Die vertrauten Kunstwerke geben einen gewissen Halt und Orientierung in einer sich wandelnden Gesellschaft.

Die 1990er Jahre brachten auch einen Umschwung in der Wahrnehmung von Großwohnsiedlungen mit sich: Eine ehemals beliebte Wohnform, die Komfort und modernes Leben symbolisiert hatte, galt nun als unattraktiv und überholt. Um dem schlechten Image entgegenzuwirken, das die „Platte“ nun umgab, wurde wiederum Kunst eingesetzt. Ein Beispiel ist die Fassade eines Wohnhauses in der Kastanienstraße, an der 1998 der Schriftzug „Ich sehe was, was du nicht siehst“ angebracht wurde (Künstler: Stephan Jung) – eine gute Beschreibung für eine Plattenbausiedlung wie Lobeda. Denn hinter den Fassaden der Hochhäuser steckt mehr, als von außen zu erahnen ist. Der Schriftzug weckt Neugierde und regt die Fantasie an.

Zeitzeugnisse und gegenwärtige Kunst

Letzte verbliebene Figur des Brunnens des alten Kulturzentrums (abgerissen) (Privataufnahme Januar 2020)
Letzte verbliebene Figur des Brunnens
des alten Kulturzentrums (abgerissen)

Neuere Installationen entstanden vor allem im Zusammenhang mit der EXPO 2000 sowie dem Projekt „72 Hours Urban Action“, das im Mai 2019 in Lobeda stattfand. Die Urban Action Veranstaltung sollte bestimme Orte Lobedas wieder in den Blick der Öffentlichkeit rücken und zum Nachdenken anregen. Das galt zum Beispiel für den vernachlässigten Brunnen, der vor dem Kulturzentrum stand. Die Aufgabe lautete: „Erschafft eine Startrampe der Neugierde“ (Homepage: 72stundenlobeda, das Überbleibsel). Aus Holz wurde eine große Regalkonstruktion um den Brunnen gebaut. Sitzmöglichkeiten sowie Grünpflanzen und Bücher sollten zum Verweilen einladen. Diese Aktion war leider nicht erfolgreich: Der Brunnen verlor weiterhin an Präsenz, lediglich eine seiner Figuren blieb erhalten.

Brunnen in Jena-Lobeda, Aufnahme von Kurt Maier 1974 (Fotosammlung Stadtmuseum)
Brunnen in Jena-Lobeda, Aufnahme von Kurt Maier 1974

Die meisten Kunstwerke, die heute in Lobeda zu finden sind, stammen aus der DDR-Zeit. Sie können vor allem als Zeitzeugnisse betrachtet werden. Die Plastiken und Wandbilder sind ein fester Bestandteil von Lobeda. Die Anwohner*innen tragen Sorge für die Kunst in ihrem Stadtteil. Sobald ein Objekt beschädigt oder entwendet wird, wird der Verlust umgehend angezeigt. Kunst im Stadtteil wird positiv und mit Interesse aufgenommen, das beweisen auch die regelmäßig angebotenen Kunstspaziergänge durch Lobeda.

 

Laura Rommel

Quellen und Literatur

  • Interview mit Doris Weilandt in Lobeda-West, geführt von Laura Rommel am 04. November 2019.
  • Geführter Kunstspaziergang in Lobeda-Ost mit Julia Mitscherlich, durchgeführt am 07. November 2019.
  • Groß, Michael: „Einladung mit Neon-Kunst auch in das neue Bürgerbüro“, in: Ostthüringer Zeitung (OTZ) vom 18. Februar 1998, Stadtarchiv Jena.
  • Hoffmann, Frank: Kulturgeschichte der DDR. Ein Überblick, hg. von Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Erfurt 2014.
  • JenaKultur (Hg.):„…denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit”. Kunst im Stadtraum von Jena. Denkmalskulpturen, Installationen, Baugebundene Kunst, Brunnenplastik, Licht- und Audiokunst. Jena 2017.
  • JenaWohnen (Hg.): Im großen Maßstab. 50 Jahre Neulobeda. Jena 2018.
  • Stutz, Rüdiger/ Mieth, Mathias (Hg.): Jena. Lexikon zur Stadtgeschichte. Berching 2018.
  • ZEISS Archiv (Hg.): Die Unternehmensgeschichte von ZEISS – Auf einen Blick, URL: https://www.zeiss.de/content/dam/corporate-new/about-zeiss/history/downloads/die_unternehmensgeschichte-von-zeiss.pdf
  • 72 Hours Urban Action, URL:  https://www.72stundenlobeda.de/