Die Offene Arbeit in der DDR und die Junge Gemeinde Stadtmitte in Jena
Die Offene (Jugend-)Arbeit etablierte sich Ende der 1960er Jahre in den evangelischen Kirchen der DDR. Jene mussten sich nach der deutschen Teilung von der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) trennen und gründeten schließlich 1969 den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK).
Als Initiator, „Vater“ und „Symbolfigur“ der Offenen Arbeit gilt der für sein Engagement überregional bekannte Braunsdorfer Pfarrer Walter Schilling (Neubert 2005, S. 112). Ziel der Offenen Arbeit war es, Freiräume und Gegenkonzepte zur DDR-Gesellschaft zu bieten. Durch ein breitgefächertes Angebot aus Vorträgen, Lesungen oder Konzerten sollte ein Raum für Andersdenkende geschaffen werden, geschützt vor staatlichen Repressalien. Dieses Angebot richtete sich vor allem an Jugendliche. Dabei zeichnete sich die Offene Arbeit durch eine konträre Ausrichtung zur Politik der SED aus: Die Jugendlichen sollten sich außerhalb der Konventionen frei entfalten und ihre Meinung offen äußern können. Selbst der christliche Glaube war keine Teilnahmevoraussetzung; alle Interessierten waren willkommen. Dadurch kam es zu einer bunt gemischten Gruppierung von Jugendlichen, die keiner speziellen Subkultur anhingen, aber auch von Punks , Hippies und „normalen“ Kirchengänger*innen. Aufgrund ihres freigeistigen Ansatzes stand die Offene Arbeit von Beginn an im Fokus der staatlichen Behörden: „Eine zunehmende Kriminalisierung führte allerdings auch zu einer zunehmenden Politisierung der Akteure“ (Neubert 2005, S. 115). Die Offene Arbeit kann daher als eine der „Keimzellen“ der entstehenden Opposition gesehen werden (Neubert 2009, S. 35). In Jena entstand 1970 nach dem Vorbild von Walter Schilling eine eigene Offene Arbeit. Sie wurde zur wichtigen Anlaufstelle auch über die Region hinaus.
Die Verbreitung der Offenen Arbeit innerhalb der DDR
In den 1980er Jahren hatte sich die Offene Arbeit so weit etabliert, dass es ein großes Netzwerk zwischen den verschiedenen Städten und Gemeinden entstanden war . Die DDR-weite Vernetzung sowie die oppositionellen Bestrebungen führten im Jahr 1987 schließlich zur Gründung der Kirche von Unten (KvU) in Berlin - anlässlich des Evangelischen Kirchentages, der im selben Jahr dort stattfand. Die Vernetzung der Offenen Arbeit zeigte sich außerdem in diversen Veranstaltungen wie Kirchentagen und “Werkstätten”. Darunter waren zumeist Konzerte oder ähnliche Veranstaltungsformen zu verstehen. Frühe Beispiele hierfür sind die Berliner „Bluesmessen“ ab 1979, initiiert von Rainer Eppelmann, oder das mehrtägige kirchliche Jugendfestival „Jugend 86“ in Rudolstadt im Jahr 1986.
Im breiten Spektrum in der Offenen Arbeit dominierten oppositionelle Themen. Die Akteur*innen beschäftigten sich beispielsweise mit Fragen wie Wehrdienstverweigerung und Arbeitsbedingungen in den Betrieben, informierten und diskutierten aber auch über aktuelle politische Themen, wie Abrüstung und Friedensbewegung. Außerdem wurden damalige Tabuthemen gerade hier verhandelt: Dazu zählten etwa Suchtprobleme, Homosexualität oder generelle „Frauenfragen“. Darüber hinaus organisierte die Offene Arbeit – auch in Jena – Fahrradtouren und Wanderungen, Konzerte und Theatervorstellungen sowie Faschingspartys für Jugendliche.
Jena und die Junge Gemeinde Stadtmitte
Eine erste Jugendgruppe der evangelischen Kirche, die “Junge Gemeinde”, existierte bereits zwischen 1966 und 1969. Die Mitglieder trafen sich im Lutherhaus. Den Anstoß für die Entwicklung der Jungen Gemeinde Stadtmitte (JG), wie sie bis heute besteht, gab der Theologiestudent Uwe Koch um 1970. Zu diesem Zeitpunkt konnten bereits die Räumlichkeiten im Hinterhaus der Johannisstraße 14 genutzt werden, wo sich die Junge Gemeinde bis heute befindet. Zunächst durfte der Raum einmal die Woche genutzt werden, denn er war eigentlich dem Kirchenchor vorbehalten. Seit April 1970 galt das Hinterhaus in der Johannisstraße dann offiziell als fester Treffpunkt. Außerdem veranstaltete die Junge Gemeinde bereits zu dieser Zeit die erste “Werkstatt”: Anlässlich dieser Veranstaltung gab es ein Konzert der frisch gegründeten Band Peaceful Dead. Ab 1972 fanden diese “Werkstätten” jährlich statt. Nach dem Ausscheiden von Uwe Koch folgte Thomas Auerbach als Leiter. Seiner Arbeit wird zugeschrieben, dass die Gruppe der Jugendlichen stets heterogen und durchmischt war: Studierende und Schüler*innen gehörten ebenso dazu wie Lehrlinge und Künstler*innen. Eine zunehmend politische Ausrichtung wurde unter anderem durch eine Solidarisierungsaktion aufgrund der Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahr 1976 gefördert.
Atmosphäre und Themen der frühen 1980er Jahre waren durch den bis heute ungeklärten Tod von Matthias Domaschk 1981 geprägt. Der 23-Jährige war in der Geraer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu Tode gekommen. Dieses tragische Ereignis führte zu einer weiteren Politisierung der Jungen Gemeinde. Darüber hinaus formierte sich die Jenaer Friedensgemeinschaft 1982/83 in ihren Räumen. Zudem traf sich hier der Weiße Kreis, ein Zusammenschluss von Ausreisewilligen. Ein herber Rückschlag traf die Junge Gemeinde Stadtmitte im März 1986: Durch eine behördliche Brandschutzkontrolle musste der Treffpunkt in der Johannisstraße 14 vorläufig geschlossen werden. Die Wiedereröffnung erfolgte im Oktober desselben Jahres. In den späten 1980er Jahren gründeten sich weitere politische Gruppen, beispielsweise Ende 1986 „Künstler für Andere“ oder im Februar 1988 ein Leseladen mit alternativer Literatur zu Themen wie Umwelt und Friedensbewegung im Vorderhaus der Johannisstraße 14.
Repressionen und Konflikte
Die Junge Gemeinde Stadtmitte war permanent von Zersetzungsversuchen der Staatssicherheit (Stasi) bedroht. So wurden über die Jahrzehnte diverse "noffizielle Mitarbeiter*innen" (IM) eingeschleust. Es kam immer wieder auch zu Konflikten auf kirchlicher Ebene. Die Kritik bezog sich in der Regel auf vermeintlich fehlende religiöse, kirchliche Inhalte der Jugendarbeit. Rückhalt innerhalb der Kirchengemeinde in Jena war durch ein gutes Verhältnis zum Superintendenten Udo Siebert gegeben, der sich stets in einem Spagat zwischen den Bedürfnissen der Jugendgruppe und dem Kontrolldruck durch die Staatsorgane befand. Zudem gab es Kontakte zu der zahlenmäßig weniger verbreiteten katholischen Jungen Gemeinde.
„Die Kirche blieb im Kommunismus ein ideologischer und struktureller Fremdkörper und ihr Anderssein machte sie zum Magnet für Andersdenkende.“ (Neubert 2009, S. 52)
Ab Ende 1989 bis Mitte 1990 mehrten sich schließlich rechtsextrem motivierte Angriffe auf die Räume der Jungen Gemeinde Stadtmitte. Dies führte zur Schließung bis September 1990. Erst das Engagement des neuen verantwortlichen Stadtjugendpfarrers Lothar König belebte die Offene Arbeit nach der Wendezeit im Jahr 1991 wieder. Die Junge Gemeinde Stadtmitte war der wichtigste oppositionelle Ort in Jena und ist darüber hinaus bis heute ein wichtiges soziokulturelles Jugendzentrum der Stadt.
Eva Dieckmann
Quellen und Literatur
- Thüringer Archiv für Zeitgeschichte “Matthias Domaschk” (ThürAZ): P-GT-K-11-06
- Neubert, Ehrhart/Auerbach, Thomas: Es kann anders werden. Opposition und Widerstand in Thüringen 1945-1989. Köln 2005.
- Neubert, Ehrhart: Opposition in der DDR. Erfurt 2009 (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen).
- Pietzsch, Henning: Jugend zwischen Kirche und Staat. Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit in Jena 1970-1989. Köln 2005.
- Stiebritz, Anne/Geiß, Stephan: Offene Arbeit der Evangelischen Kirche in der DDR. Jena 2012.