Punkbands in Jena: Sperma Combo und Vereinigte Chaoten

Die Entstehung des Punks in Jena fällt in die zweite Phase des DDR-Punks, also in den Zeitraum ab 1982/83. Wichtigster Treffpunkt für die Szene waren zu dieser Zeit die Räume der Offenen Jugendarbeit. Ab dem Jahr 1983, anderen Berichten zufolge ab 1985, gab es die ersten Punks in der Jungen Gemeinde Stadtmitte. In den kirchlichen Räumen fanden jugendliche Punks und Teenager aus anderen Subkulturen Schutz vor der Schikane und Kriminalisierung durch die staatlichen Behörden. Die Junge Gemeinde Stadtmitte bot Alternativen zu dem von vielen Jugendlichen als trist und langweilig empfundenen staatlich geregelten Jugendprogramm der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) an und dadurch eine Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag.

In den 1980er Jahren blieb die Punkentwicklung in Jena noch hinter anderen Städten zurück. Zwei der damals aktiven Musikgruppen lassen sich als Punkbands einordnen: die Sperma Combo und die Vereinigten Chaoten

Es gab in der Zeit, glaube ich, in Jena sowieso nur zwei oder drei Punkbands gleichzeitig. […] Und deswegen kannte man sich eh untereinander, und meistens waren die Proben schon halbe Konzerte, weil da immer Leute saßen, die zugehört haben. [...]

In Jena gab es nicht über 100.000 Einwohner damals und so viele Punks gab es nicht als dass man die nicht alle gekannt hätte. (Interview mit Matthias Schmidt*)

Die Sperma Combo

Band Sperma Combo, 1988 (Quelle: Thüringer Archiv für Zeitgeschichte)
Band Sperma Combo, 1988

Die Gründung der Sperma Combo fand vermutlich 1986/87 statt. Die Band existierte nur bis zum Jahr 1989. Danach verstreuten sich die Mitglieder über die Republik; einige zogen nach Berlin und starteten andere Bandprojekte. Der Drummer Tobi beispielsweise wirkte ab Mitte der 1990er Jahre bei der Berliner Punkgruppe Herr Blum mit.

Die Band trat nicht nur als Sperma Combo auf, sondern nannte sich manchmal auch Combisten oder gar Quartett Adrett. Sie bestand aus vier Musikern: Sänger, Schlagzeuger, Gitarrist und Bassgitarrist. Im Mai 1988 brachten sie ihr erstes Tape heraus, mit dem Titel „Ohne Torte“. Es beinhaltete Tracks wie „Anders sein“ und „Vaterland“, bei dem der Unmut gegen das eigene Land zum Ausdruck kam . Außerdem gibt es Tape-Aufnahmen eines Konzertes vom November 1988, zusammen mit der Hermsdorfer Punkband U.A.N. (Ulrike am Nagel). Die Aufnahmen stammen von “Hinterhofproduction”, einem illegalen Label, das sich Mitte der 1970er Jahre in Jena etablierte. Beim Weihnachtskonzert am 25. Dezember 1989 traten die Combisten zusammen mit Sapienti Sat (Berlin) und U.A.N. in der Jungen Gemeinde Stadtmitte auf.

Die Vereinigten Chaoten gründeten sich Anfang des Jahres 1988: Die Band bestand aus vier festen Mitgliedern; bei Aufnahmen erhielten sie teilweise Verstärkung durch zwei bis drei weitere Musiker*innen. Der Bandname bezieht sich auf die heterogene Zusammensetzung der Mitglieder. Oft wurde die Kurzform Chaoten verwendet. In der Umbruchphase zwischen Friedlicher Revolution und politischer Wende nahmen Viele an, die Band würde sich aufgrund des Zusammenschlusses der beiden deutschen Staaten „Vereinigte Chaoten” nennen. Dieser Kontext war allerdings nicht der Grund für die Namensgebung:

Wir hießen die Vereinigten Chaoten“, weil wir aus so unterschiedlichen Subkulturen kamen. […] Einer hatte zum Beispiel sehr kurze Haare, […] einer hatte lange Haare, war eher ein Blueser, einer war eher Metaller, und ich war eben punkig. Und deswegen haben wir gesagt, wir sind die Vereinigten Chaoten“. (Interview mit Matthias Schmidt*)

Ihr erstes Konzert gaben die Chaoten erst Anfang des Jahres 1989, denn im Sommer zuvor kam es zu einem größeren Wechsel bei der Zusammensetzung der Band: Mehrere Musiker  waren über Rumänien aus der DDR geflüchtet. Die zurückgebliebenen Bandmitglieder mussten sich neu sortieren und waren daher erst wieder Ende 88 zusammen spielfähig (Interview mit Matthias Schmidt*). Ähnlich wie bei der Sperma Combo wurden auch von den Vereinigten Chaoten Tapes von “Hinterhofproduction” angefertigt und DDR-weit vertrieben. In ihren Songs äußerten sich die Chaoten zumeist kritisch gegenüber dem Zeitgeist und der Situation im Land. Beispielhaft hierfür ist das „Fascho-Lied“, das die Neonazi-Problematik der DDR aufgriff, die von staatlicher Seite beschwiegen oder geleugnet wurde.

Das „Fascho-Lied“ (Auszüge)

Es werden immer mehr,
sie reihen sich ein in ein Fascho-Heer.
Sie kämpfen für ein Vaterland,
doch das ist 1945 abgebrannt. […]
Sie fangen wieder an zu schreien:
Sie wollen „Deutschland“ von Juden befreien.
Bleibt es bei diesen Worten?
Oder sind sie bereit zu morden? […]
Machen wir die Hand zu einer Faust,
schmeißen wir die Neonazis raus.

Vereinigte Chaoten – Fascho-Lied (Youtube-Link)

Weitere Titel der Band sind zum Beispiel „Wir spielen Krieg“ oder „Ach, Wenn Ich Doch Vernünftig Wär“. Das „Wendejahr“ erlebte die Gruppe als eine „Highlight-Zeit“. Einige Bandmitglieder engagierten sich zunehmend politisch und beteiligten sich an den Demonstrationen im Herbst 1989 auf dem Platz der Kosmonauten. Das Jahr 1990 war von neuen Freiheiten und vielen Konzertmöglichkeiten geprägt: Diverse neue Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden, darunter beispielsweise das “Kassablanca”. Zudem boten besetzte Häuser Raum für Konzerte.

Im Jahr 1993 kam es schließlich zur Auflösung der Band. Auslöser hierfür waren zum einen „persönliche Gründe“ und zum anderen ein zunehmend geringeres „Ganggefühl“. Manche Mitglieder gründeten in den Folgejahren neue Bands, wie beispielsweise die Jenaer Stadtmusikanten.

Vereinigte Chaoten - Ach wenn ich doch vernünftig wär (Youtube)

Im Jahr 2015 wurde im Rahmen der Ausstellung „Freundschaft! Mythos und Realität im Alltag der DDR“ im Stadtmuseum Jena eine Split LP der beiden Bands gepresst. Sie trägt den Titel „Hinterm Hinterhof Geht‘s Weiter...“ und beinhaltet Songs der jeweiligen Bands aus den 1980er und 1990er Jahren.

Eva Dieckmann

Quellen und Literatur

  • Interview mit Matthias Schmidt*, geführt von Eva Dieckmann am 02. Januar 2020 in Jena.
  • Thüringer Archiv für Zeitgeschichte “Matthias Domaschk” (Thüraz): P-JS-K-01.02
  • http://www.parocktikum.de/wiki/index.php/Sperma_Combo
  • Hahn, Anne: Pogo im Bratwurstland. Punk in Thüringen. Erfurt 2009.