Edition und Kommentar. Aufbau und Vermittlung von kontextualisierenden Inhalten

Sektion II - Viele Wege – hohe Erwartungen: Perspektiven der Quellenerschließung

23. Juni 2022 - 15.15 Uhr

Wolfgang Sellert ‧ Göttingen

Forschungsschwerpunkte

  • Deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte
  • Institutionengeschichte des Alten Reichs
  • Prozess- und Strafrechtsgeschichte
  • Universitätsgeschichte
Portraitfoto von Wolfgang Sellert

Vita (Auszug)

  • 1970 Habilitation in Frankfurt mit einer Arbeit zum Thema: Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens
  • 1977–2002 ordentlicher Professor an der Georg-August-Universität Göttingen für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, 2002 emeritiert, Profil
  • seit 1984 ordentliches Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften, u. a. 1990–2002 Vorsitzender der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Vergangenheit und Gegenwart“
  • 1991–2006 zunächst Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, später Vorsitzender des Göttinger Universitätsbundes
  • 1995–2000 Direktor des Deutsch-Chinesischen Instituts für Wirtschaftsrecht in Nanjing (VR-China)
  • seit 2006 Vorsitzender der Göttinger Vereinigung zur Pflege der Rechtsgeschichte
  • seit 2006 Leiter des von der Göttinger Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Akademienprogramms und in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv durchgeführten Langzeitprojekts „Erschließung der Akten des Kaiserlichen Reichshofrats“ Link Profil
  • 2021 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Link

Publikationen (Auswahl)

  • (Hg.), Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie I: Alte Prager Akten, 5 Bände, Berlin 2009-2014; Serie II: Antiqua, bisher Bd. 1-5, Berlin 2010-2019. Link
  • Die Geschichte des Göttinger Universitätsbundes, Göttingen 2018.
  • Imperial Control of the Aulic Council and the Imperial Chamber Court. Law and Realitiy, in: Kjell Å. Modéer/Martin Sunnqvist (Hg.), Suum Cuique Tribuere. Legal contexts, judicial archetypes and deep-structures regarding courts of appeal and judiciaries from early modern to late modern Europe (= Rättshistorika Studier, Bd. 27), Stockholm 2018, S. 57-73.
  • Das Schiff als Rechtssymbol für Staat, Reich, Stadtregiment und Kirche, in: Signa Ivris 16 (2018), S. 225-271.
  • Die Rechtsprechung des Kaiserlichen Reichshofrats im Streit um die Reichsunmittelbarkeit der Stadt Hamburg, in: Volker Friedrich Drecktrah/Dietmar Willoweit (Hg.), Rechtsprechung und Justizhoheit. Festschrift für Götz Landwehr zum 80. Geburtstag, Köln u.a. 2016, S. 105–126.
  • Faires Verhalten im gerichtlichen Prozeß und Schikane. Zur Geschichte des Kalumnieneids, in: Martin Avenarius/Rudolf Meyer-Pritzl/Cosima Möller (Hg.), Ars iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Göttingen 2009, S. 485–505.
  • Die Zuständigkeit des kaiserlichen Reichshofrats in Reichspolizeisachen und die Ladung des Hallenser Rechtsgelehrten Christian Thomasius vor den Reichshofrat, in: Georg Steinberg (Hg.), Recht und Macht. Zur Theorie und Praxis von Strafe. Festschrift für Hinrich Rüping zum 65. Geburtstag, Rechtswissenschaften 64), München 2008, S. 295–308.
  • (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 34), Köln u.a. 1999; darin: Projekt einer Erschließung der Akten des Reichshofrats (S. 199–210).
  • zusammen mit Hinrich Rüping (Hg.), Studien und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 2 Bde., Aalen 1989-1994.
  • Die Ordnungen des Reichshofrats 1550–1766, 2 Bde. (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 8/1-2), Köln/Wien 1980–1990.
  • Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte NF 18), Aalen 1973.

Grundsätzliches zur Edition frühneuzeitlicher normativer Texte. Erfahrungen eines Rechtshistorikers

Editionen sind bis heute ein Wagnis geblieben. Sie bieten wegen ihrer vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten Angriffsflächen für die Kritik der Fachgelehrten. Dennoch sind sie notwendig, weil sie nach wie vor entscheidende Grundlagen für neue Forschungen und Erkenntnisse liefern.

Rechtshistoriker haben sich bis heute immer wieder an die Edition von Rechtsnormen und Gesetzeswerken der Vergangenheit gewagt, obwohl in ihrem juristischen Studium die für die editorische Arbeit unerlässliche Ausbildung in den historischen Hilfswissenschaften nicht vorgesehen ist.

Als editionswürdig kommen für sie nur authentische Rechtstexte in Betracht, das heißt nur solche, deren Rechtsgeltung entweder durch die amtliche Inkraftsetzung nach einem legitimierten Gesetzgebungsverfahren oder durch den Willen des Herrschers nachgewiesen ist. Hierfür bedarf es der häufig schwierigen Ermittlung des Original- oder Urtextes. Rechtstexte können aber auch eine faktische beziehungsweise gewohnheitsrechtliche Authentizität haben, die durch ihre Anwendung in der Rechtspraxis nachzuweisen ist.

Für die Transkription und Textgestaltung sind die allseits bekannten Editionsrichtlinien eine wichtige Hilfe. Sie müssen jedoch den Besonderheiten des jeweiligen Rechtstextes sinnvoll angepasst werden. Das erstrebte Ziel ist eine vernünftige Balance zwischen größtmöglicher Originaltreue und Verständlichkeit. Dabei ist zu bedenken, dass jede, auch noch so minimale Veränderung bereits eine Textinterpretation bedeuten kann. Im Zweifel muss eine nach Buchstaben und Interpunktion getreue Übertragung den Vorrang haben. Im Idealfall sollte der Rechtshistoriker eine Edition nur in Zusammenarbeit mit Historikern, Philologen und Archivaren bewerkstelligen. Insoweit ist die Edition eine Herausforderung für Interdisziplinarität.

Einige der erwähnten Grundsätze sollen am Beispiel meiner Edition der Ordnungen des Kaiserlichen Reichshofrats erörtert werden (vgl. Die Ordnungen des Reichshofrats 1550–1766, 1. Halbband bis 1626 und 2. Halbband 1626 bis 1766 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8/I und 8/II), Köln/Wien 1980, 1990). Im Einzelnen geht es um den Nachweis der Authentizität, um die Textgestaltung, um die Materialien zur Gesetzgebungsgeschichte, um die Editionsform, um die Benutzerfreundlichkeit und um die Drucke.