Ziel: Stadt – Das Wachsen der Dresdner Bevölkerung im 16. Jahrhundert

von Jens Klingner

Dresdens Stadtentwicklungsplanung orientiert sich seit dem Jahr 2000 am Leitbild der „Europäischen Stadt“. Mit Hilfe der in diesem Konzept enthaltenen Maßnahmen sollte der starke Bevölkerungsrückgang seit der politischen Wende von 1989 gestoppt werden, der u.a. durch die sprunghaft gestiegene Arbeitslosigkeit zu einer massenhaften Abwanderung in Richtung der alten Bundesländer entstanden war. Im Mittelpunkt des neuen Leitbildes stand die Idee eines attraktiven Stadtzentrums mit einer lebendigen Stadtkultur, welches zahlreiche Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen in der Innenstadt forcierte. Die Landeshauptstadt gewann vor allem durch diese Maßnahmen als Wirtschafts-, Forschungs- sowie Kulturstandort wieder an Attraktivität und kann seit der Jahrtausendwende auf wachsende Einwohnerzahlen verweisen. Neben den steigenden Geburtenzahlen sind auch die stark zurückgehende Stadt-Umland-Wanderung sowie der Zuzug von Migranten als Ursachen für diese positive Entwicklung zu sehen. Die Bevölkerungszunahme ist sogar so hoch, dass Dresden neben München und Bonn zu den am schnellsten wachsenden Städten Deutschlands zählt.

Anhand dieser aktuellen Entwicklungen wird deutlich, dass die städtische Entwicklung ganz eng mit dem Begriff der „Migration“ verbunden ist. Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit führten Kriege, Hungersnöte oder Krankheiten zu massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen in den Städten, was häufig eine große Abwanderung von Einwohnern zur Folge hatte, die in solchen Krisenzeiten an anderer Stelle nach neuen Lebenschancen suchten. Dresden erfuhr im 15. Jahrhundert zwar eine sehr langsame, aber immerhin stetig steigende Bevölkerungsentwicklung, welche durch den großen Brand von 1491, bei dem etwa die Hälfte der Gebäude der Stadt den Flammen zum Opfer fielen, einen erheblichen Einbruch verzeichnete. Im Zuge dieser Katastrophe sank die Einwohnerzahl von ca. 4.000 auf etwa 2.500. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis die Stadt wieder den Zustand aus der Zeit vor dem Brand erreichen konnte. Diese Entwicklung war nur durch den Zuzug von Menschen möglich. Die damals bestehende Geburtenrate reichte nicht einmal zum Ausgleich der teilweise erheblichen Bevölkerungsverluste. Der rasante Anstieg der Einwohnerzahl Dresdens im 16. Jahrhundert auf das Dreifache stand in engem Zusammenhang mit dem Ausbau der Stadt zu einer blühenden Residenzstadt durch die wettinischen Herzöge und Kurfürsten. Daraus resultierte ein deutlich erhöhter Bevölkerungszustrom. Die meisten Immigranten kamen aus der Region, aus den unmittelbar benachbarten Dörfern und Städten sowie aus anderen Teilen des wettinischen Herrschaftsraumes. Aber auch aus den Nachbarterritorien wie Böhmen, Brandenburg und der Lausitz, bzw. aus den weiter entfernten Herrschaften wie Bayern, Franken, Hessen, Schlesien oder dem Rheinland zog es Menschen nach Dresden. Zu einer Ausweitung des Einzugsgebietes kam es ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als der gute Ruf der prosperierenden Residenzstadt den Anteil an Immigranten aus Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, England, Österreich und Italien ansteigen ließ.

Die sogenannte Residenzbildung wirkte wie ein Motor auf das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Die große Zahl der zugezogenen Siedler und die immer mehr expandierende Hofhaltung führten auch zu infrastrukturellen Veränderungen: Das Stadtgebiet wurde erweitert und die mittelalterliche Befestigung zu einer frühmodernen Festungsanlage umgestaltet. Für den Ausbau der Stadt und des Hofes benötigte man auf der einen Seite längerfristig Handwerker und einfache Arbeiter, auf der anderen Seite suchte man das moderne Know-how erfahrener Baumeister und Architekten, die nur außerhalb der Stadt und zumeist in weit entfernten Gegenden zu finden waren. Vermutlich nutzte zum Beispiel der sächsische Kurfürst Moritz seine Italienreise 1549, um unter dem Eindruck der italienischen Renaissance gezielt Handwerker und Künstler anzuwerben. So lassen sich beim Festungs- und Schlossbau viele italienische Bauleute, Bildhauer, Steinmetze oder Maler nachweisen. Namentlich sind zu nennen Giovanni Maria Nosseni aus Lugano, der den Hauptaltar der Sophienkirche entwarf, oder die Maler Gabriel und Benedikt Zola aus Brescia. Weitere bekannte Steinmetze kamen aus Lüneburg oder aus Österreich.

Neben diesen Spezialisten des Baugewerbes waren es vor allem Künstler, die durch den landesherrlichen Hof angezogen wurden und die fortan das kulturelle Leben der Stadt prägen sollten. Dazu zählten u.a. die Maler Heinrich Gödicke aus Braunschweig und Hans Schroer aus Lüttich, Hofkapellmeister Matthäus Leemeister aus Gent, Hofkantor Adrian Maus aus den Niederlanden oder die italienischen Hofmusiker Gabriel de Tola und Johann Angelus Scandellus. Die Zuwanderung führte zu einem bedeutenden kulturellen Aufschwung der Residenzstadt und einer spürbaren Zunahme des Bau- und Kunstgewerbes, der sich auch im Ausbau der kulturellen Einrichtungen und der Gründung der Kunstsammlungen im Jahr 1560 niederschlug. Doch auch in Politik und Kirche lässt sich eine gezielte Personalpolitik seitens der Landesherren nachweisen. Mit Daniel Greser aus Gießen holte Kurfürst Moritz einen neuen Stadtpfarrer und Superintendanten nach Dresden, der das städtische Schulwesen und darüber hinaus die lutherische Kirche in Sachsen wesentlich mitgestaltete.

Mit der expandierenden Bevölkerung veränderte sich auch die Gewichtung der einzelnen Gewerbe. In der Forschung spricht man mit Blick auf Handwerk, Handel und Dienstleistungen von der dynamischsten Entwicklungsphase in der Dresdner Geschichte. Die notwendige Versorgung der Bürger werteten die Berufe im Ernährungs- und Textilbereich auf. Auch der Transport von Waren über größere ebenso wie über kleinere Strecken gewann an Bedeutung. Die Damast-Weberei war eine der Innovationen, die durch den Zuzug des schlesischen Handwerkers Christian Roßler nach Dresden gelangte und das wirtschaftliche Betätigungsfeld erweiterte. In der Stadt siedelten sich mit dem wachsenden Hofstaat außerdem zunehmend hofspezifische Arbeitsbereiche wie Boten und Kutscher an und es kam zu einer Zunahme in den Bildungs- und Verwaltungsberufen. So bot die Stadt neben den guten Verdienstmöglichkeiten zudem neue Chancen des sozialen Aufstiegs.

In dem breiten sozialen Spektrum der Immigranten gestaltete sich das Zusammenleben mit den Einwohnern nicht in allen Bereichen problemlos. Die Furcht einiger Bürger vor der sozialen und wirtschaftlichen Konkurrenz war ebenso vorhanden wie die Ablehnung und das Misstrauen gegenüber bestimmten Gruppen von Zuwanderern. Unerwünschte Personen wie Bettler, Diebe oder Prostituierte versuchte man auszuweisen. Tagelöhner mussten ihre Anwesenheit aufzeichnen lassen, Wirte durften keine Hausleute ohne Vorstellung beim Bürgermeister oder Richter aufnehmen. Kurfürst August ließ 1577 und 1583 Visitationen durchführen, die sogar den „sittlichen und wirtschaftlichen Zustand“ der Bevölkerung festhielten: Dabei zeigte sich, dass sich zahlreiche Personen ohne den Erwerb des Bürgerrechts niedergelassen hatten. Viele von ihnen wurden danach gezwungen, das Bürgerrecht anzunehmen.

Diese Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass Migration ein zentraler und fortwährender Bestandteil städtischen Lebens war und ist. Zu- und Abwanderung waren stets beeinflusst von historischen Ereignissen wie Kriegen oder Krisen und fanden in unterschiedlicher Intensität statt. Die Öffnung der Städte für Zuwanderungsbewegungen ist kein aktuelles Phänomen. Im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit hatte der Zuzug Fremder überwiegend positive Auswirkungen auf Dresden. Sie haben die Stadt wesentlich mit geprägt. Auf diese Weise wurde bereits vor etwa 500 Jahren der Grundstein für die Vielfalt des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in der Stadt gelegt.

Zum Weiterlesen:

MEINHARDT, Matthias, Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozeß des 15. und 16. Jahrhunderts (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 4), Berlin 2009.

MEINHARDT, Matthias, Stadtgesellschaft und Residenzbildung. Aspekte der quantitativen Entwicklung und sozialen Struktur Dresdens im 15. und 16. Jahrhundert, in: Ders./Andreas Ranft (Hg.), Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Beiträge eines Workshops am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1), Berlin 2005, S. 49-75.

BLASCHKE, Karlheinz (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2005.

Bild: Dresden, Stadtansicht vom Neustädter Ufer mit Brücke und Schloß, Stich von Heinrich van Cleef aus dem Jahr 1553, aus: Heinrich Butte, Geschichte Dresdens bis zur Reformationszeit, hrsg. von Herbert Wolf, Köln/Graz 1967, Abb. 12.

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