Wenn sie nicht mehr auskommen könnten, so gingen sie nach Berlin.
Ein historisches Beispiel für „ausländische Facharbeiter“ in Dresden
von Sönke Friedreich
Im Spätsommer 1750 machte in Dresden ein Gerücht die Runde, nach dem sich die Kolonie böhmischer Gärtner, die sich seit dem 17. Jahrhundert vor den Toren der Neustadt niedergelassen hatte, angeblich mit kollektiven Abwanderungsgedanken trage. Diese Nachricht war bedeutend genug, den Stadtrat zu einer Untersuchung zu veranlassen, in deren Verlauf mehrere Zeugen, vor allem aus der Dresdner Neustadt, vorgeladen wurden. Der in diesem Zusammenhang aussagende Gärtner Johann Horack brachte Licht in die gerüchteumwobenen Vorgänge: ein gewisser Johann Zschekan habe ein Patent der preußischen Regierung in Umlauf gebracht, nach dem diese allen jenen Gärtnern, die sich verändern wollten, ein Grundstück zum Anbau in Berlin versprach. Horack und Zschekan seien daraufhin gemeinsam mit dem Schwiegersohn und einem Vetter Zschekans nach Berlin gegangen, um sich über das Angebot näher zu informieren. Oberst Wolf Friedrich von Retzow habe sich mit ihnen getroffen,
welcher ihnen die Versicherung gegeben, daß, wenn einige unter ihnen Fremde wären, die wegen der Religion vertrieben worden, oder ein schweres Leben führen müßten, und sich in Berlin niederlassen wollten, des Königs in Preußen Macht denenselben nicht nur Häuser bauen und Unterhalt verschaffen, sondern auch sonst alles behülfliche angedeyhen lassen würde.Bis auf den Schwiegersohn Zschekans seien aber alle wieder nach Dresden zurückgekehrt, hätten aber weitere Patente mitgenommen und hätten aber versprochen, daß sie wiederkommen wollten. Allerdings zeigte sich Horack wenig überzeugt von der Güte des Bodens, den die Gärtner in Berlin zugeteilt bekommen sollten (Stadtarchiv Dresden, Ratsarchiv, 2.1, C XV 4, Bl. 2).Wie die weiteren Ermittlungen ergaben, bestätigten sich die Aussagen Horacks alsbald, sodass der Stadtrat keine Mühe hatte, einen aktiven preußischen Anwerbungsversuch festzustellen, der gegen das damals gültige Anwerbungsverbot verstieß (vgl. Codex Augusteus 1, Leipzig 1724, Sp. 2511-2514). Es wurden in der Folge sowohl ein Brief des Obersten von Retzow wie auch ein Brief von fünf nach Berlin ausgewanderten Böhmen beschlagnahmt, aus denen deutlich hervorging, dass man in Berlin an einer Zuwanderung der Gärtner interessiert war. Oberst von Retzow schrieb am 29. August 1750, man habe für die böhmischen Colonisten 20 neue Häuser zwischen dem Dorfe Schönberg und Berlin aufbauen […] lassen, worin dieselben mit mehrerer Bequemlichkeit ihre Profession treiben können (StadtADD, Ratsarchiv, 2.1, C XV 4, Bl. 6). Und bereits am 10. August hatte der Brief der Böhmen sowohl die Arbeitsmöglichkeiten wie auch die staatliche Unterstützung in Brandenburg gelobt (ebd., Bl. 8). Pflichtgemäß meldete der Stadtrat daher den Vorfall an die Landesregierung mit der Bitte um weitere Instruktionen (vgl. ebd., Bl. 9 f.). Im Antwortschreiben hieß es,
ihr wollet besagte Böhmen, dergleichen Anlockungen Gehör zu geben, mit Anwendung darzu diensamer Vorstellungen, dehortiren, hiernächst ob etwa Emissarii so die Leute zum heimlichen Wegziehen zu verleiten bemühet, sich hier einfinden möchten, fleißig acht haben, euch in solchem Fall dererselben versichern, und endlich, damit dergleichen Briefe, als nach Auswirkung beykommender Acten, bereits abgelaßen worden, nicht propuliret werden, sorgfältig verhüten (vgl. ebd., Bl. 11.).
Hierauf ließ der Stadtrat am folgenden Sonntag von der Kanzel den Befehl verlesen, alle böhmischen Gärtner hätten sich am nächsten Tag um 10 Uhr vor dem Rathaus einzufinden. So versammelten sich 52 Personen vor dem Rathaus, um sich vom Rat ermahnen zu lassen, nicht den falschen Verlockungen des Auslandes zu folgen.
Interessanterweise blieb es jedoch nicht bei den landes- und stadtväterlichen Ermahnungen. Die böhmischen Gärtner nutzten nämlich die Gelegenheit zu einer Aussprache mit der Obrigkeit. So merkten sie an, dass der Auswanderungswunsch nicht von ungefähr komme:
Es möchten wohl einige unter ihnen seyn, die sich vielleicht entschliessen möchten von hier weg- und nach Berlin zu gehen, um zu sehen, ob sie allda ihre Besserung finden könnten. Die Zeiten würden hier immer schwerer, die Pächte erhöhet, was sie brauchten, immer theurer, sehr viele Gärtnerwaare von denen Dörfern hereingeführet, daß sie die Ihrige auf dem Markte nicht loswerden könnten, und daher diese verdürbe. Es könnten also die Leute nicht mehr bestehen, sondern fielen nach und nach unvermerkt in eine Schuldenlast, und müßten also auf ihre Besserung denken.
Befragt, wer von ihnen an eine Abwanderung denke, lautete die vage Antwort, es hätten sich viele unter ihnen verlauten lassen, sie wollten zusehen, wie lange sie hier auskommen könnten. Wenn sie nicht mehr auskommen könnten, so gingen sie nach Berlin (ebd., Bl. 12 f.). Die Gärtner drohten also unverhüllt mit der Abwanderung, offenbar in dem Bemühen, eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation in Dresden zu erreichen. Da einmal der Stein ins Rollen gebracht war, nutzten die Gärtner zudem die Gunst der Stunde, indem sie ihre Beschwerden am 6. Oktober noch einmal schriftlich vortrugen (ebd., Bl. 13-16). Aus einem Abwanderungsproblem war damit eine Diskussion um die soziale Lage der Gärtner in Dresden geworden.
Wie der Streit um die drohenden Abwanderungen der böhmischen Gärtner zeigt, wurden Fremde bereits im 18. Jahrhundert keineswegs lediglich als Belastung des sozialen Gefüges wahrgenommen – der Diskurs um die Anwerbung „ausländischer Fachkräfte“, wie er heute geführt wird, findet in Diskussionen wie den genannten einen klaren Vorläufer. Die böhmischen Gärtner, deren Migrationskarriere den Hintergrund ihrer religiösen Verfolgung in Böhmen seit dem frühen 17. Jahrhundert hatte, wurden von der Stadtverwaltung sowie der Landesregierung als eine für die Stadt wichtige Berufsgruppe identifiziert. Die böhmischen Gärtner nutzten die ökonomische Nische des Gartenanbaus im Umfeld Dresdens zu ihrem Lebensunterhalt, waren aber auch eine Bereicherung der städtischen Ökonomie. Viele von ihnen verbrachten ihr ganzes Arbeitsleben in Dresden: Johann Zschekan etwa war bereits seit 27 Jahren in Dresden sesshaft. Die Konkurrenz der frühneuzeitlichen Staaten um qualifizierte Arbeitskräfte zeigt ein deutliches Bewusstsein für die positiven Effekte von Zuwanderung. Dies bedeutet nicht, dass es zugleich nicht auch Konflikte um Fremde gegeben hat. Doch eine pauschale Ablehnung des Zuzugs von Ausländern hätte der Stadt Dresden zweifellos ferngelegen.
Zum Weiterlesen:
FRIEDREICH, Sönke, Fremd bleiben. Perspektiven auf Nahmobilität und Pendelmigration zwischen Böhmen und Dresden im 18. und 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Europäische Ethnologie, 3. Folge, Bd. 4 (2009), S. 149-164.
SCHUNKA, Alexander, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Münster u.a. 2006.