„Lichtertürken“ und demonstrierende Räuchermänner: Heimat in Gefahr?

Nadine Kulbe

Am 27. August 2015 war auf der Facebook-Seite von „Pegida e.V. Dresden“ Folgendes zu lesen: „Guten Morgen Freunde, wir möchten Euch natürlich nicht vorenthalten, was wir gelegentlich von Euch geschenkt bekommen. Hier seht Ihr ein kleines Räuchermännchen, voll funktionsfähig mit einem Plakat in der Hand mit der Aufschrift ‚PEGIDA – DRESDEN zeigt wie’s geht‘“. Das Räuchermännchen in Form eines Schneemanns stammte aus der Werkstatt des Seiffener Schnitzers Gerd Hofmann, der den Räuchermann Typ „Demonstrant“ mit verschiedenen Plakaten wie „Dresden zeigt wie’s geht“, „Wir sind das Volk“ oder „Für saubere Luft im Erzgebirge“ verkauft. Der Pegida-Post rief zwar Kritik, zumeist aber positive bis euphorische Reaktionen hervor: von naiven Kommentaren wie „Echt süüüß!“ über Medienschelte bis hin zu Warnungen vor „Überfremdung“. Vor allem aber wurden anhand des Erzeugnisses Erzgebirgischer Volkskunst der eigene Patriotismus, die Heimat- und die Traditionsverbundenheit hervorgehoben – in Äußerungen, die Abgrenzung und Ausgrenzung mit „Heimatgefühl“ gleichsetzten.

Sowohl die Genossenschaft der Drechsler, Bildhauer, Holz- und Spielwarenhersteller (Dregeno) in Seiffen, deren Mitglied Gerd Hofmann ist, als auch der „Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller“ zeigten sich vom Räuchermännel „Demonstrant“ wenig angetan: „Erzgebirgische Volkskunst und solche politischen Aussagen passen nicht zusammen. […] Wir distanzieren uns davon“, so Dregeno-Chefin Julia Kröner (Freie Presse vom 3.11.2015, S. 2). Erzgebirgische Volkskunst in den Dienst der „patriotischen Europäer“ zu stellen, ist aus der Sicht der Verbände eine Bedrohung für die Marke – sowohl wegen einer einseitigen politischen Orientierung (die auch ökonomische Auswirkungen nach sich ziehen könnte) als auch aus ethischen Motiven: „Mit dem Leid dieser Welt will ich kein Geschäft machen“, so Julia Kröner.

Der Begriff „Volkskunst“ wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert gebräuchlich und meinte nach zeitgenössischer Auffassung die „Kunst des kleinen Mannes“ (Seyffert 1924, S. 8). Zu dieser Zeit wurden Wissenschaftler, Laien und Künstler auch auf das Erzgebirge mit seiner traditionellen Spielwarenherstellung aufmerksam. Sie verbanden Objekte aus der Hand „einfacher Menschen“ mit Begriffen wie Authentizität, Heimatverbundenheit und Natürlichkeit – Werte, die industriell, anonym und massenhaft hergestellten Waren abhandengekommen schienen. Als Reaktion auf eine industrialisierte Welt verbanden sich mit Volkskunst zum einen vor allem romantisierende Vorstellungen. Zum anderen galt Volkskunst als objektivierte „Heimat“ und Ausdruck eines „Heimatgefühls“. Alwin Seifert (1873–1937), Direktor der Fachschule für Erzgebirgische Volkskunst in Seiffen, konnte beispielsweise in den „bunten Stücken bodenständiger schlichter Volkskunst die Heimat lächeln sehn und das Herz der Heimat schlagen hören“ (Seifert 1926, S. 108).

Beschrieb der Begriff „Heimat“ in seiner ursprünglichen Bedeutung zunächst die rechtliche Zugehörigkeit zu einem Geburtsort, so wurde er im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker emotionalisiert. Insbesondere in Verbindung mit der einsetzenden Industrialisierung, der Abwanderung in industrielle Zentren und dem damit einhergehenden „Verlust“ der vertrauten Umgebung entstanden wohl ein Gefühl für die und eine Sehnsucht nach der „Heimat“. Eine Ausweitung erfuhr der Begriff auch durch die Verbindung mit „Identität“ als territorialer bzw. mentaler Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gebiet.

Unterschiedliche und zeitspezifische Definitionen von „Heimat“ lassen sich gerade am Beispiel der Erzgebirgischen Volkskunst nahezu idealtypisch ablesen. Denn die Instrumentalisierung von Volkskunst für die Stärkung des „Heimatgefühls“ und der nationalen bzw. regionalen Identität ist kein neues Phänomen: Insbesondere die nationalsozialistische Ideologie bediente sich dieser Strategie. Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde verfügt mit seinen Sammlungen, Nachlässen und der Bilddatenbank über unterschiedliche Quellen, anhand derer sich die Veränderung der Definitionen, die Varianten der Instrumentalisierung und der Wandel der Erzgebirgischen Volkskunst nachvollziehen lassen, wie das folgende Beispiel zeigt.

„Kein Fest ist so deutsch und so eng mit der Glaubenswelt unserer Vorfahren verbunden wie das Weihnachtsfest“, so das Urteil eines Berichts vom „Fachreferat für Brauchtumspflege“ des „Heimatwerks Sachsen“ aus dem Jahr 1937. Damit sollte jedoch kein Bezug zum christlichen Abendland hergestellt, sondern die vermeintlich heidnischen, „urgermanischen“ Traditionslinien betont werden. Insbesondere das Erzgebirge galt als „das“ sächsische Weihnachtsland: „Hier hat sich das Volk in rechter Weise sein Weihnachten geschaffen, zu dem gute, tiefempfundene Weihnachtslieder, eine rechte Weihnachtsmusik, heimatgebundene Gedichte und Spiele und vor allem die Erzeugnisse heimatlicher Schnitzkunst in reicher Auswahl zur Verfügung stehen“ – so heißt es in den 1937 vom „Heimatwerk Sachsen“ ausgearbeiteten „Richtlinien für vorweihnachtliche Feiern“. Allerdings wurde auch ein Makel festgestellt und auf Abhilfe gedrungen: „Bei den erzgebirgischen Schnitzarbeiten wird besonderer Wert darauf gelegt, daß sie dem deutschen Weihnachtsbrauchtum Rechnung tragen und immer mehr ihr orientalisches Gepräge aufgeben.“ Das „Heimatwerk“, gegründet 1936 auf Initiative des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann (1879–1947), sollte durch Unterstützung der „Volkstumsarbeit“ das Bild der Sachsen im Deutschen Reich aufwerten sowie die regionalkulturellen Bestrebungen als nationalsozialistische Erziehungsarbeit koordinieren. In diesem Sinne wurde auch eine „Arisierung“ von Bräuchen und Objekten angestrebt. Im Jahr 1937 fand in Schwarzenberg die „Feierohmdschau“ als Leistungsschau erzgebirgischer Schnitzkunst statt. Zum Symbol der Ausstellung wurde ein neu entworfener Schwibbogen der Leipziger Künstlerin Paula Jordan (1896–1986), der keine „orientalischen Motive“ wie die Jesus-Krippe unter Palmen mehr zeigte, dafür an die Bräuche und Gewerke des Erzgebirges anknüpfte. Der Schwibbogen mit dem Schnitzer auf der einen, der Klöppelfrau auf der anderen Seite, in der Mitte den zwei Bergmännern im Habit, die ein Wappenschild mit den gekreuzten Meißner Schwertern tragen, stellt bis heute ein beliebtes Schwibbogen-Motiv dar. Auch die traditionellen „orientalischen Krippen“ sollten ab Mitte der 1930er Jahre ihr Erscheinungsbild hin zu regionalen Motiven verändern: Statt der drei Weisen aus dem Morgenland zierten beispielsweise Bergmänner und „Kräuterweiblein“ den Weihnachtsschmuck, statt eines Stalls sollten Bergschmieden oder Köhlerhütten nachempfunden werden. (ISGV-Sammlungen, Nr. 24; ISGV-Bildarchiv, BSN 48878, 37785, 44482)

Zu den älteren Zeugnissen der Erzgebirgischen Volkskunst zählen die sog. Lichtertürken oder Räuchertürken: Kerzenträger oder Räuchermänner in langen Gewändern und ausgestattet mit Turban und Pfeife. Die ältesten bekannten „Türkenfiguren“ stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie und wann dieses Motiv ins Erzgebirge gelangte, ist nicht geklärt. Vielleicht sind sie ein Überbleibsel der sog. Türkenmode, die im 18. Jahrhundert im europäischen Adel ihren Anfang nahm, im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in bürgerliche Schichten vordrang und schließlich in Bauwerken wie dem Tabakkontor „Yenidze“ in Dresden, als Darstellungen auf Pfefferkuchenmodeln oder als Dekor auf Keramiken ihre Spuren hinterlassen hat. Die erzgebirgischen Schnitzer griffen diese Mode möglicherweise auf und integrierten sie als Lichter- und Räuchertürken in ihren Motivkanon. Sie sind fester Bestandteil des Angebots an „traditionellen“ Figuren Erzgebirgischer Volkskunst und werden bis heute hergestellt. Die „Lichtertürken“ gehören in vielen Haushalten zur Weihnachtszeit dazu. Die nationalsozialistischen Bestrebungen, die Volkskunst von „orientalischen“ Einflüssen zu befreien, wurden also nicht umgesetzt, sondern sind im Gegenteil gescheitert. (ISGV-Bildarchiv, BSN 30460, 30429, 16106, 37850, 26776)

Dennoch zeigt das eingangs genannte Beispiel des Räuchermanns Typ „Demonstrant“, dass „Heimat“ in Zeiten von Krisen und Verunsicherungen Ängste oder Vorurteile der Bevölkerung polarisieren und Sehnsucht wecken kann nach einer vermeintlich besseren und heilen Welt – Bezüge, wie sie auch auf Spruchbändern der Pegida-Bewegung verwendet werden. Demonstrationstransparente mit Aufschriften wie „Erzgebirge – Land der Traditionen“, „Heimat und Identität bewahren, Asylbetrug stoppen“ oder „Multikulti stoppen – meine Heimat bleibt deutsch“ zeugen von dieser Verbindung.

„Heimat“ transportiert gemeinsame Werte und Normen. Das können statt Abgrenzung, Ausgrenzung und Nationalismus auch Toleranz, Respekt und Achtung für alle Mitmenschen sein, sodass „Heimat“ keine Ausschlusskriterien begründet, denn „Heimat“ und Identität sind weder Argumente für Beharrung noch das Gegenteil von Migration. In seiner Rede zum „Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz“ in Dresden 1936 freute sich der Gründer und langjährige Direktor des „Museums für Sächsische Volkskunst“, Oskar Seyffert (1862–1940), zwar über die große Aufmerksamkeit, die seinem Museum und der Volkskunst im „Dritten Reich“ zuteil geworden war, distanzierte sich jedoch auch von einer Beschränkung der Volkskunst auf „urgermanische“ Traditionen und ideologische Funktionalisierung. Er betonte, dass „unsere Heimat […] lebendig [ist]. Ihr Abbild muß dies zum Ausdruck bringen. […] Unser Volk lebt auch jetzt, hat nicht nur gestern gelebt.“ (Seyffert 1938, S. 119) So sind die zeitspezifischen Auffassungen von „Heimat“ wie auch die Objektivationen populärer Kunst immer ein Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen sowie erzieherischer, ästhetischer, wirtschaftlicher oder politischer Beeinflussung. Gesellschaftliche, kulturelle und künstlerische Einflüsse führten stets zu einem kreativen Wandel und zu einer Bereicherung der Vielfalt. Versuche ideologischer und politischer Funktionalisierungen hingegen haben kaum Spuren hinterlassen: Weihnachtskrippen mit „orientalischen“ Motiven oder „Räuchertürken“ zählen fest zum traditionellen Kanon.

Literatur:

FRIEDREICH, Sönke, Alltagsleben und Volkskultur im Erzgebirge, in: Martina Schattkowsky (Hg.), Erzgebirge (Kulturlandschaften Sachsens, Bd. 3), Leipzig 2010, S. 129-162.

KORFF, Gottfried, Volkskunst als ideologisches Konstrukt? Fragen und Beobachtungen zum politischen Einsatz der „Volkskunst“ im 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Volkskunde N.F. 15 (1992) S. 23-49.

SCHRAMM, Manuel, Die Erfindung und Entwicklung der erzgebirgischen Volkskunst, in: Zeitschrift für Volkskunde 98 (2002), S. 34-58.

SEIFERT, Alwin, Neues erzgebirgisches Holzspielzeug, in: Sächsische Heimat 9 (1925/26), H. 3, S. 105-108.

SEIFERT, Manfred (Hg.), Zwischen Emotion und Kalkül. „Heimat“ als Argument im Prozess der Moderne (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 35), Leipzig 2010.

SEYFFERT, Oskar, Das Landesmuseum für Sächsische Volkskunst, Dresden 1924.

SEYFFERT, Oskar, Das Landesmuseum für Sächsische Volkskunst, in: Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz Dresden 1936. Tagungsbericht, Berlin 1938, S. 118-124.

Bild: „Leuchtertürke“ (links), Künstler unbekannt, Ehrenfriedersdorf, Ende 19. Jahrhundert (ISGV-Bildarchiv, BSN 37886); Räuchermänner „Slowake“ und „Türke“ (rechts), Künstler: Kurt Füchtner, Seiffen, um 1960 (ISGV-Bildarchiv, BSN 16106).

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