Nachruf auf unseren ehemaligen ISGV-Direktor
Winfried Müller (1953-2025)

In München, wo sich Winfried Müller einer akuten Herzoperation unterziehen musste, ist der hochgeschätzte Kollege ganz unerwartet am 25. Februar verstorben. Damit schloss sich viel zu früh der Lebenskreis des 1953 im oberbayerischen Grafrath geborenen Neuzeit- und Landeshistorikers. Nach dem Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo ihn vor allem Laetitia Böhm und Eberhard Weis prägten, wurde Müller mit einer Arbeit über die Universität Ingolstadt im 18. Jahrhundert promoviert (Universität und Orden, erschienen 1986). In seiner Münchner Habilitationsschrift behandelte er die bayerische Schulpolitik in den Besatzungsjahren 1945-1949 (erschienen 1995). Nach Lehrstuhlvertretungen in Passau und Bonn wurde Müller 1999 als Nachfolger von Karlheinz Blaschke auf den Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte berufen, den er bis zur Pensionierung 2018 innehatte. Seit 2000 wirkte Müller zudem im Nebenamt als Mitglied des Direktoriums des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV), eine Funktion, die er gemeinsam mit mir bis 2020 ausfüllte. In diesen Jahren entwickelte sich ein immer engeres wissenschaftliches und persönliches Verhältnis, auf das ich dankbar zurückblicke. In Sachsen war es gewiss nicht leicht, aus dem Schatten des Vorgängers Blaschke, der die sächsische Landesgeschichte in sehr eigentümlicher Weise geprägt hatte, herauszutreten, doch konnte sich Winfried Müller bald mit eigenen Themen, neuen Perspektiven und einer wachsenden Zahl akademischer Schüler profiliert etablieren.
Das ISGV bestand erst wenige Jahre, als Müller 2000 die Leitung übernahm. Nun galt es, die Chancen einer solchen landesfinanzierten Einrichtung zu nutzen und leistungsfähig auf die Zukunft auszurichten. Dabei war es einerseits wichtig, mit den vorgefundenen Traditionen des aus einem DDR-Akademieinstitut erwachsenen Bereichs Volkskunde behutsam umzugehen und gleichwohl neue Perspektiven zu eröffnen. Auf der anderen Seite galt es mit dem Ausbau des Bereichs Geschichte im ISGV zu zeigen, was moderne Landesgeschichte heute zu leisten vermag. Die Jahre 2000 bis 2020, in denen Müller mit dem ISGV verbunden war, wurden zu einer langen Phase des personellen, organisatorischen und thematischen Ausbaus des Instituts, das nicht nur sehr schnell zu einem Kompetenzzentrum für Sachsen wurde, sondern bald auch ein glänzendes Ansehen jenseits der Landesgrenzen genoss. Das gesamte Publikationsprofil des Instituts mit seinen Buchreihen und Zeitschriften reicht in diese Zeit zurück. Darüber hinaus wusste das ISGV früher als viele andere historische Forschungsinstitute die Chancen des Internets und der Digitalisierung zu nutzen. Das Flaggschiff der digitalen Publikationen ist bis heute die Sächsische Biografie, die Winfried Müller im vergangenen Jahr mit einer seiner letzten Publikationen bereichert hat, dem grundlegenden Artikel über August den Starken.
In den Publikationsreihen des Instituts hat Winfried Müller nachhaltige Spuren hinterlassen, beispielsweise durch mehrere Dissertationen zur Jubiläumskultur in Sachsen, die aus einem Sonderforschungsbereich an der TU Dresden hervorgegangen sind. Hervorzuheben sind außerdem Tagungsbände über König Johann, über Kurfürst August von Sachsen und über die Reformation in Sachsen. Gemeinsam mit zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem ISGV brachten wir 2016 die programmatische Publikation „Sachsen: weltoffen! Mobilität – Fremdheit – Toleranz“ heraus, deren Stoßrichtung aktueller denn je ist. Auch an großen Landesausstellungen wie Via regia 2011 in Görlitz und Preußen und Sachsen (Doberlug 2014) war Winfried Müller maßgeblich beteiligt.

bei der Filmreihe im Klemperer-Saal der SLUB Dresden 2022
Müller war eine Forscherpersönlichkeit ganz eigenen Profils und hatte auch den langen Atem für große Synthesen, wie etwa sein 2002 erschienenes Buch über die Aufklärung in der angesehenen Reihe Enzyklopädie deutscher Geschichte zeigt. Darüber hinaus war er ein leidenschaftlicher Kinogänger, was schließlich dazu führte, mit einem Forschungsprojekt im ISGV die Anfänge der Dresdner Kinokultur 1896 bis 1949 zu dokumentieren. Winfried Müller war aber auch ein passionierter Sammler und Jäger, der auf Flohmärkten und in Kunsthandlungen stets auf der Suche nach Künstlersteinzeichnungen und seltenen Jazz-Platten war. Dabei fielen auch immer wieder Funde für die Sammlungen des ISGV an.
Pünktlich zu Müllers Abschied vom ISGV erschien 2020 sein stattlicher Band über die Deutsche Künstlersteinzeichnung 1896-1918 (in unserer Reihe „Spurensuche“ als Sonderband 1). Das großartig ausgestattet Buch war in vielen Jahren gewachsen, nicht nur als Ergebnis intensiver Forschungstätigkeit, sondern mehr noch als Frucht beharrlicher Sammeltätigkeit. Man kann das Buch als Bekenntnis des geborenen Oberbayern zu Sachsen und Dresden lesen, wo er gerne lebte und wirkte. Das ISGV trauert um seinen langjährigen Direktor, der hier maßgebliche Akzente setzte und dem die Sorge um das Institut und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stets ein großes Anliegen war. Wir werden ihm ein dankbares Andenken bewahren. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und seiner Familie.
Enno Bünz, Geschäftsführender Direktor des ISGV