Fundstück aus dem LGA – im Dezember 2019
Weihnachten
„Vor jeder Weihnacht erhebt sich (alle Jahre wieder, und das seit Generationen) das mürrische Geschenkgespräch, die große Wehklage über die materielle Völlerei aus Anlaß eines einstmals vorwiegend religiösen Datums. ‚Wenn ich so zurückdenke‘, sagt der Vater […] ‚dann graut’s mich! Was hatten wir zum Christfest? Eisenbahnen? Automodelle? Skiausrüstungen? Langspielplatten? Anoraks? Fahrräder? – Pustekuchen!‘ Und dann sagen die Väter, daß zu ihrer Zeit die liebe Mutter ihnen höchstens ein paar Strümpfe gestrickt habe […].“
Dies schrieb der Feuilletonist Friedrich Luft 1960 in die Weihnachtsausgabe der Zeitung „Welt“ – und diese Konsum- und Schenkkritik zitierte Ingeborg Weber-Kellermann in ihrem 1978 erschienen Werk „Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit“. Diese Kritik am Konsum- und Schenkverhalten fußt auf einem relativ jungen Verhalten in der Weihnachtszeit, denn erst seit dem Biedermeier, dann im Zuge der Industrialisierung und schließlich mit der Herausbildung der bürgerlichen Kleinfamilie wurde das Weihnachtsfest zu einem Schenkfest, besonders für Kinder. War das Schenken von teurem Spielzeug und Süßwaren erst nur den mittleren bis höheren Schichten des Bürgertums vorbehalten, entwickelte sich die „Geschenke-Industrie“ allmählich zu einer schichtenübergreifenden Industrie: angefangen beim Weihnachtsbaum, der vom 17. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ausschließlich dem adligen und bürgerlichen Haushalten vorbehalten war, bis hin zu mundgeblasenen Glaskugeln, die erst zum Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in die kleinbürgerlichen und ärmeren Haushalte hielten.
Der Weihnachtsabend selbst wird zum Harmoniewunschbild verzerrt und durch übermäßig viele Geschenke für wenige Stunden eine glückliche Familie ohne Konflikte erfunden. Angenommene oder nicht angenommene Traditionen spielen dabei eine maßgebliche Rolle und führen zu Missstimmung, wenn diese nicht programmpunktartig abgearbeitet werden, so beispielsweise das Schmücken des Baumes, das Singen von Weihnachtsliedern, das gemeinsame Essen usw.
Ingeborg Weber-Kellermann wollte mit ihrem Buch an die Vielfältigkeit von weihnachtlichen Bräuchen und deren Ausübung erinnern. Mit dem jeweiligen historischen und volkskundlichen Abriss gibt sie den LeserInnen nützliche Informationen rund um die Weihnachtszeit an die Hand, scheut dabei aber auch nicht die kritische Meinung zu den Themen Schenken, Konsum, Armut und Alleinsein an Weihnachten.
Auch in heutigen Zeiten ist dieses Buch aus dem Jahr 1978 einen Blick wert und regt vielleicht den ein oder anderen zu intensiverem Lesen an – und vielleicht finden die LeserInnen auch neue Bräuche, die in ihren schon vorhandenen Brauchkatalog übernommen werden können.
Wir wünschen allen LeserInnen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest, und nicht so viel Stress beim Geschenkekaufen, denn manchmal sind liebe Worte und Beisammensein mehr wert als unzählige Geschenke.