Fundstück aus dem ISGV – im September 2023

Eine bekannte unbekannte Zeichnung des Dresdner Franziskanerklosters

von Jens Klingner

Federzeichnung vom Grundstück des Dresdner Franziskanerklosters, um 1555
Federzeichnung vom Grundstück des Dresdner
Franziskanerklosters, um 1555; Sächsisches Staatsarchiv,
10036 Finanzarchiv, Loc. 37281, Rep. 22, Dresden,
Nr. 0004; Foto: Jens Klingner.

In den Dresdner Museen werden viele historische Stadtansichten präsentiert. Diese ermöglichen dem Publikum eine visuelle Reise in die Vergangenheit der Residenzstadt. Doch bei weitem kann nicht alles Zeigenswerte ausgestellt werden. Verborgen bleiben den interessierten Besucherinnen und Besuchern die Stücke, die in den Depots der Museen oder auch in den Archiven unentdeckt schlummern. Unser Fundstück des Monats aus dem Bestand des Sächsischen Staatsarchivs gehört zu diesen verborgenen Schätzen und ist ein eindrucksvolles Zeugnis aus dem spätmittelalterlichen Dresden. Die großformatige Federzeichnung zeigt in allen Details das Franziskanerkloster und damit einen zentralen Ort der Stadt, der eine bewegte Geschichte hinter sich hat.

Rechnung mit Ausgaben für die Terminei in Gottleuba
Rechnung mit Ausgaben für die Terminei in Gottleuba:
It(e)m 9 d vor zcert uff d(y) termeney zcur Gottelobe;
Stadtarchiv Dresden, 2.1.1 Ratsarchiv, A.XV.b.35:
Franziskanerklosterrechnungen 1421–1489,
fol. 43v-44r; Foto: Kerstin Guckeland.

Das einzige Dresdner Kloster auf der südlichen Elbseite befand sich im Westen des Stadtgebietes, in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer und des Residenzschlosses. Die Franziskaner, benannt nach ihrem Gründer, dem Heiligen Franz von Assisi, waren ein in Europa weit verbreiteter mittelalterlicher Bettelorden. Man nannte sie auch Barfüßer, in Anspielung auf das auffällige äußere Merkmal der persönlichen Armut, auf die sich die Ordensmitglieder verpflichtet hatten.

Die schriftliche Überlieferung zu den immerhin 300 Jahre in Dresden ansässigen Mönchen ist überschaubar. In erster Linie liefern archäologische Grabungen wichtige Anhaltspunkte für die Frühgeschichte der Dresdner Niederlassung. Diese datieren die Ansiedlung der Franziskaner in das 13. Jahrhundert. In dieser Phase trat vor allem Markgraf Heinrich (der Erlauchte) von Meißen (um 1215–1288) als Förderer der Mönche hervor. Gleichzeitig profitierte das Kloster von der wachsenden Anziehungskraft der Residenzstadt für Adlige, Handwerker und Händler. Die wenigen erhaltenen Urkunden zeigen Stiftungen zugunsten des Bettelordens. Die strenge und disziplinierte Frömmigkeit der Franziskanermönche traf insbesondere in den boomenden Städten des Mittelalters auf großen Widerhall. Die kommunale Bevölkerung bedachte die Niederlassungen in ihren Testamenten reichlich, um sich bereits zu Lebzeiten mit Blick auf das eigene Seelenheil einen Platz auf dem Klosterfriedhof bzw. in der Klosterkirche zu sichern. Ein im Stadtarchiv verwahrter, zwar kleiner, aber einzigartiger Rechnungsbestand des Klosters gibt einen Einblick in die Einnahmen und Ausgaben der Mönche.

Ehemaliges Terminierhaus der Dresdner Franziskaner in Dippoldiswalde
Ehemaliges Terminierhaus der Dresdner Franziskaner
in Dippoldiswalde, heute in der Rosengasse auf der
Rückseite des Marktes; Foto: Jens Klingner.

Die Aufstellung zeigt, dass die Franziskaner ihre Einkünfte neben den Stiftungen vor allem aus der Seelsorge mit Beichte und Predigt erzielten. Dies taten sie über den städtischen Raum hinaus auch im Dresdner Umland. Dafür nutzten sie sogenannte Termineien (gemeint sind Häuser oder Wohnungen), um in kleineren Städten zu übernachten und dann die umliegenden Dörfer zu bereisen und geistlich zu versorgen. Durch die Seelsorge nahmen die Barfüßer Geld ein oder bekamen Lebensmittel und Naturalien zur Eigenversorgung, die dann mit Gespannen ins Dresdner Mutterhaus befördert wurden. Greifbar sind solche Termineien für das Dresdner Kloster in Bischofswerda, Gottleuba, Neustadt, Pirna oder – wie auf dem Foto – im circa 20 Kilometer entfernten Dippoldiswalde. Die weit verstreute Lage dieser Orte zeigt, wie groß das Einzugsgebiet des kleinen Klosters war.

Anhand der Rechnungen lassen sich auch die Ausgaben bestimmen. Es finden sich Posten zur Verpflegung, für Kleidung und vor allem für Baumaßnahmen, denn das Kloster erfuhr mehrere Erweiterungen und Umbauten. Bekannt ist die um 1400 vom Bürgermeister Lorenz Busmann gestiftete und nach ihm benannte Kapelle an der Klosterkirche.

Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen 1539 mussten die Mönche das Kloster verlassen. Das Inventar verwahrte fortan der Rat der Stadt. Allerdings vergruben die letzten Mönche eine Kiste, die erst 1910 bei Bauarbeiten wieder aufgefunden wurde. Diese Kiste enthielt eine in Gold gefasste Zahnreliquie sowie eine silberne Kreuzreliquie mit einem Holzspan vom Kreuz Christi, Reliquiare zur Aufbewahrung dieser Reliquien sowie weitere Behälter und Medaillons. Dieser Fund ist für Sachsen einzigartig. Die Stücke sind heute im Dresdner Stadtmuseum zu bewundern und zeugen von der alltäglichen Frömmigkeit in der sächsischen Niederlassung eines bedeutenden Ordens.

Doch wie genau sah das Umfeld aus, in dem diese Reliquienbehältnisse verwahrt und verehrt wurden? Ein anschauliches und aufschlussreiches Bild bietet unser Fundstück. Es veranschaulicht den Zustand unmittelbar nach der Reformation, nachdem die Klostergebäude zunächst an die Stadt übergeben, wenig später von Kurfürst Moritz (1521–1553) zurückgenommen und zur Lagerung von militärischem Gerät genutzt wurden. Die Skizze zeigt das Areal rund ums Kloster, dessen Gebäude noch alle intakt sind. Oben links sind die Kirche sowie das Kloster zu erkennen. Rechts findet sich die Badestube in der Kleinen Brüdergasse und im Vordergrund das Haus des bedeutenden kurfürstlichen Rates Anthonius von Schönberg (1528–1591). Die geografische Ausrichtung der Zeichnung wird durch die Angabe von Sonnenaufgang und -untergang an den Rändern kenntlich gemacht. Der Plan vermittelt einen Eindruck vom zeitgenössischen baulichen Zustand, bevor die Gebäude ab 1563 eine neue Bestimmung erhielten. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Zeughaus fertiggestellt, die eingelagerte Artillerie samt Munition verschwand vom Gelände und die alten Konventsgebäude fanden als kurfürstliches Brau-, Wasch- und Kochhaus, Pferdestall, Wagenremise und Kutscherwohnung Verwendung. Bis zum 18. Jahrhundert erfolgte sukzessive der vollständige Abbruch dieser Häuser, zuletzt zugunsten der Errichtung des Taschenbergpalais.

Architektenbesprechung mit Walter Ulbricht zum Wiederaufbau des Zentrums am 31. Mai 1953
Architektenbesprechung mit Walter Ulbricht
zum Wiederaufbau des Zentrums am 31. Mai 1953;
Deutsche Fotothek: http://www.deutschefotothek.de/
documents/obj/90116423; Foto: Erich Höhne.

Der Klosterkirche blieb dieses Schicksal zunächst erspart. Im Gegenteil: man baute sie 1602 aus und benannte sie nach Kurfürstin Sophie (1568–1622), die das Projekt wesentlich gefördert hatte. Eine zweite große Umgestaltung erfuhr die Sophienkirche im 19. Jahrhundert, ehe sie im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Obwohl die Ruine 1952 zum Baudenkmal erhoben wurde, begann auf Betreiben der DDR-Regierung 1962 ihr Abriss. Häufig nacherzählt wird in diesem Zusammenhang die Szene, in der Walter Ulbricht 1961 bei einer Besprechung die Sophienkirche eigenhändig vom Stadtmodell nahm und damit ihr Ende besiegelte. Heute zeugen vom einstigen Kloster noch die Nachbildung des Grundrisses der Sophienkirche, in rotem Meißner Granit auf den Freiflächen um das Haus am Zwinger. Am früheren Standort der Busmannkapelle entstand 2009 eine Gedenkstätte, in die originale Architekturfragmente einbezogen worden sind. Dazu zählen auch die Konsolbüsten des Lorenz Busmann und seiner Frau.

Die wenigen erhaltenen Zeugnisse vom Dresdner Franziskanerkloster – unter anderem der wieder aufgefundene Reliquienschatz, der einzigartige Rechnungsbestand oder die Konsolbüsten – dürfen mit einiger Berechtigung zu den bedeutendsten Funden der sächsischen Klosterlandschaft gezählt werden. Hinzu kommt jetzt diese Federzeichnung als herausragende bildliche Quelle, denn sie gewährt einen direkten Blick auf den Zustand, den die gesamte Anlage in der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte. Zwar fand das Bild 1985 beiläufige Erwähnung im bekannten Werk „Das alte Dresden“ von Fritz Löffler, allerdings wurde hier nur ein winziger Ausschnitt, sehr klein und schwarz-weiß, abgebildet. Die Zeichnung ist aber deutlich größer und ihre Detailtreue bemerkenswert. Zukünftig wird das Bild im Sächsischen Klosterbuch zu sehen sein, welches am 20. September 2023 beim Tag der Landesgeschichte auf dem Deutschen Historikertag in Leipzig präsentiert werden wird. Das dreibändige Werk bietet nicht nur umfassende Informationen zu den 80 Klöstern, die auf dem Gebiet des heutigen Freistaates existierten, sondern es finden sich weitere, wertvolle und bislang verborgene Schätze in den zahlreichen Abbildungen, die darauf warten, von den Leserinnen und Lesern entdeckt zu werden.

Zurück