Fundstück aus dem ISGV – im Oktober 2020

Die Karl-Marx-Büste der Oberschule Großdubrau

von Oliver Wurzbacher

Keramikisolatoren und die Karl-Marx-Büste im Elektroporzellanmuseum Margarethenhütte
Keramikisolatoren und die Karl-Marx-Büste
im Elektroporzellanmuseum Margarethenhütte.
(18.08.2020); Foto: Oliver Wurzbacher

Im Elektroporzellanmuseum Margarethenhütte in Großdubrau blickt eine Karl Marx Büste angespannt auf eine Reihe keramischer Hochspannungsisolatoren, welche bis 1990 im VEB Elektroporzellanwerk Margarethenhütte produziert wurden. Ich entdecke sie während eines Interviewtermins für das Projekt „Soziales Erbe“, in dem die Menschen um das Museum Margarethenhütte eine wichtige Rolle spielen. Der „Marx-Kopp“, wie ihn die Fördervereinsmitglieder des Museums nennen, steht unscheinbar in Kniehöhe auf einem großen Stein. Er scheint nur provisorisch aufgestellt worden zu sein, denn zwei Holzstücke dienen als Unterlage und Abstandshalter zwischen Büste und Sockel. Neben Marx liegen Mineralien, eine Aloe Vera sprießt aus einem blauen Übertopf. Was macht dieses Abbild des Philosophen hier?

Über Umwege kam die Büste an ihren Ursprungsort zurück: Mitte der Achtziger wurde sie in Auftrag gegeben für die Namensgebung der „Karl-Marx-Oberschule“ Großdubrau. Der Malermeister Herbert Ullmann modellierte den Kopf im örtlichen Porzellanwerk, welcher dann im Feuerfestwerk Wetro gebrannt wurde. Am 4. Mai 1986 wurde die Büste schließlich an der Schule in Großdubrau eingeweiht. Knapp sechs Jahre blieb sie dort stehen, bis zum 11. Januar 1992. Laut dem Polizeibericht in der Sächsischen Zeitung erreichte an diesem Morgen ein Anruf die Ehefrau des damaligen Schuldirektors. Der Anrufer forderte die Entfernung der Statue bis zum Mittag, andernfalls werde die Schule „in die Luft fliegen“. Das Gelände wurde evakuiert, eine Bombe wurde nicht gefunden, jedoch war die Bombendrohung wirkungsvoll: die „beanstandete Büste“ (SZ) verschwand vom Schulgelände.

Diese Geschichte aus der Zeit der deutschen Vereinigung ist ein besonderes Beispiel von Ikonoklasmus, setzt man die Gewaltandrohung ins Verhältnis damit, wie still schließlich der Kopf verschwunden zu sein scheint: der Artikel in der Sächsischen Zeitung füllt nur wenige Zeilen. Der Denkmalsturz über ein Jahr nach dem Ende des DDR-Staates lässt sich aber historisch gut einordnen. Das Bildnis von Karl Marx folgte auch in Großdubrau einer bestimmten Ikonographie: ein alter Marx mit Bart und wallendem Haar, der streng nach vorn blickt. Das „richtige“ Bildnis von Marx zu finden, war bis in die 1970er-Jahre von Debatten bestimmt und die Staatsführung nahm immer wieder Einfluss auf künstlerische Arbeiten. Besondere Bedeutung hatte das, da Marx zum Symbol für die Werte des Staates werden sollte. In der politischen Symbolsprache verschwand die historische Person so zum Beispiel hinter bestimmten Ausschnitten ihres Werkes. Der Bau von Denkmälern ist immer mit bestimmten gesellschaftlichen Machtpositionen verbunden, hingegen werden sie abgebaut, wenn das, was sie repräsentieren, nicht mehr haltbar ist. Denkmalstürze sind im Allgemeinen komplexe Prozesse, die erst einsetzen, nachdem sich Systeme gewandelt haben und Werte neu ausgerichtet wurden.

Anders als die meisten Karl-Marx-Denkmäler verhält es sich mit Straßennamen. In vielen kleineren ostdeutschen Städten finden sich noch Karl-Marx-Straßen oder Straßen der Einheit (zur Erinnerung an die Zwangsvereinigung der KPD und SPD zur SED im Jahr 1946) – so auch in Großdubrau. Da Straßennamen im Alltag viel stärker als Denkmäler in Gebrauch stehen, behalten sie oft länger ihre Gültigkeit. Denkmäler hingegen werden mit einem Machtwechsel oft Stein des Anstoßes und wenn sie nicht mehr regelmäßig „bespielt“ werden, geraten sie in der Regel in Vergessenheit. Nach Jahren des Vergessenseins kam die Großdubrauer Marx-Büste wieder auf dem Bauhof der Gemeinde zum Vorschein. Die Verantwortlichen wollten sie entweder entsorgen oder dem Museum übergeben. Die Mitglieder des Fördervereins übernahmen das Objekt in ihre Sammlung. Ähnlich anderer Beispiele wie dem Kopf Lenins in der Spandauer Zitadelle oder den Denkmälern des Memento Park Budapest haben sie das Staatssymbol zum Museumsstück transformiert.

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