Fundstück aus dem ISGV – im Mai 2023

„Feste feiern, wie sie fallen“ – unerwünscht! Zur Errichtung eines „Landesarchivs für Heimatfeste und -spiele“ durch das Heimatwerk Sachsen

von Antje Reppe

Im ISGV verwahrtes Konvolut zum Heimatwerk Sachsen (Foto: Antje Reppe)

„Man soll die Feste feiern, wie sie fallen!“, was so viel bedeutet wie: man sollte mögliche Gelegenheiten zum Feiern auch tatsächlich nutzen, ist eine oft gehörte Redewendung. Man möchte meinen, diese Empfehlung inkludiert auch, die jeweilige Festgemeinschaft könne dies so tun wie es ihr beliebt – basierend auf individuellen Bedürfnissen, Vorlieben und Traditionen. Während des Nationalsozialismus war dies allerdings nicht erwünscht, denn die NS-Ideologie sollte in alle Alltags- und Lebensbereiche einfließen, auch in die Festkultur. Dafür wurden u. a. volkskundliche Unternehmungen, die eigentlich auf eine wissenschaftliche Bearbeitung ausgerichtet waren, vereinnahmt. Zwischen 1934 und 1937 führte die Landesstelle für Volksforschung und Volkstumspflege des Gaues Sachsen im NS-Lehrerbund eine großangelegte Umfrageaktion durch, um alltagskulturelle Phänomene im Lebens- und Jahreszyklus zu ermitteln. Diese Umfrage war Teil des geplanten „Landesarchivs für Volksforschung“ und sollte in der weiteren Folge noch um ein „Landesarchiv für Heimatfeste und -spiele“ ergänzt werden; angesiedelt im Heimatwerk Sachsen, in das die Landesstelle überführt wurde. Im Rahmen der weitreichenden Bestrebungen des Heimatwerks „Sachsenstolz“ zu fördern und eine erzieherische „Volkstumsarbeit“ durchzuführen, sollten auch Feste analysiert, manipuliert und propagandistisch genutzt werden. Hans Steglich, dem die Leitung über die Festerhebung oblag, äußerte zur Intention des Vorhabens: Ziel sei es „Gutes herauszustellen und als beispielgebend weiterzureichen, Überlagertes von fremdem Beiwerk zu befreien und Schlechtes unnachsichtig auszumerzen“. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten in der Nachkriegszeit unmittelbar in die Festgestaltung einfließen, so dass 1941 die Erhebung von ca. 300 Heimatfesten, gefeiert in der Jahren 1934 bis 1939, realisiert wurde. Diese im ISGV verwahrten Materialien sind nun erschlossen und stehen für Forschungen zu Verfügung!

Für die Durchführung wurden fünf Frage- und Erhebungsbögen entworfen: Heimatfeste, Heimatspiele, Heimatabende sowie als Ergänzung Festzüge und -plätze.

Festprogramm mit angehefteter Festplakette zum Heimat- und Parkfest Wurzen 1938<br (ISGV, AIfV/HWSa/K9)
Festplakette zum Heimat- und Parkfest Wurzen 1938

Die Heimatfeste, die zu diesem Zeitpunkt schon verschiedene Formen von lokalen und regionalen Volksfesten beinhalteten, sollten mit Zeit- und Ortsangaben, der genauen Bezeichnung bzw. des Festanlasses, den beinhalteten Festelementen und den Verantwortlichen und Mitarbeitenden verzeichnet werden. Zudem war es durch die Konzeption der Bögen und Mappen bereits vorgesehen, Publikationen wie Plakate oder Festschriften und berichtende Zeitungsartikel zu verwahren.

Darüber hinaus sollte aber auch ein zusammenfassender Bericht und eine Wertung des Festes vorgenommen werden. Aus dieser „kritischen Stellungnahme“ sollte zu erkennen sein, „ob die Veranstaltung den nationalsozialistischen Grundsätzen gerecht wird [… und] die vom Heimatwerk gestellten Forderungen erfüllt“.

Zusatzbogen „Heimatspiel“ zur Bautzener Schießbleiche 1938-1940 mit Wertung (ISGV, AIfV/HWSa/K14)
Zusatzbogen „Heimatspiel“ zur Bautzener Schießbleiche 1938-1940
mit Wertung (ISGV, AIfV/HWSa/K14)

Ähnlich konzipiert waren die Bögen zu Heimatspielen, die ebenfalls einen Bericht enthielten, der über Leitgedanken, Durchführung, Mitwirkende und Einschätzung informieren sollte. Die Bögen 3 bis 5 waren im Format so ausgelegt, dass die Informationen zu Heimatabenden, Festplätzen und -zügen direkt in die Bögen 1 und 2 integriert werden konnten. Vermutlich sollte eine Art Bestandsakte zu den jeweiligen Festen entstehen, die fortlaufend über die Entwicklung Auskunft geben konnte.

Glücklicherweise sind der Mehrwert und die Notwendigkeit von unterschiedlichen Einflüssen und Veränderungen für gelebte Kulturformen heute nicht nur erkannt, sondern werden auch gezielt gefördert. 2003 wurde das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes verabschiedet, mit dem Ziel die Vielfalt lebendiger Kulturformen zu erhalten. Zu den Kriterien eine kulturelle Praxis als Immaterielles Kulturerbe listen zu lassen, gehören u. a. Kreativität, Wandlungsfähigkeit und Inklusion. Denn kulturelle Vielfalt bereichert; nicht durch Ein- und Beschränkung, sondern durch Begegnung, Anerkennung und Inspiration.

Wie und dass Feierlichkeiten und Brauchkultur auch ohne Lenkung und Reglementierung, sondern durch Kreativität und Teilhabe innovativ auf gesellschaftliche Entwicklungen (und auch Krisensituationen) reagieren können, schildern Theresa und Fabian Jacobs am Beispiel sorbischer Osterbräuche: Leseempfehlung!

Zurück