Fundstück aus dem ISGV – im März 2025
Pfingsten unterm Hakenkreuz. Ein Leipziger Schüler bei der VDA-Tagung an Rhein und Mosel 1934
von Christoph Sauer
Menschen auf der Porta Nigra? Hakenkreuzfahnen an Wohn- und Geschäftshäusern? Eine Demonstration oder ein Festzug auf einer Straße? Das Fundstück des Monats März widmet sich einem kleinen Bestand von Glasdias sowie Negativen aus dem (Digitalen) Bildarchiv des ISGV. Doch was genau zeigen die Aufnahmen? Wer war der Fotograf und warum befinden sich diese im Bildarchiv?
Der Bestand umfasst 33 Glasplattendias im Mittelformat sowie 35 Mittelformatnegative, die bei Archivarbeiten im Negativfilmbestand gefunden wurden. Das Dia Nr. 17 mit dem Originaltitel „Festzug:Saarland:Treuebekenntnis” zeigt von einem erhöhten Standpunkt aus – wahrscheinlich aus einem Fenster eines Geschäftshauses fotografiert – neben Schaulustigen Personen in einem Festzug auf einer Straße, die ein Banner mit der Aufschrift „Schwört und sprecht, Recht bleibt Recht, Wahr bleibt wahr, Deutsch die Saar” vor sich hertragen. Im Hintergrund ist die Rückansicht der berühmten Porta Nigra in Trier zu sehen. Das Bild dokumentiert einen der Höhepunkte des Pfingsttreffens des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (VDA) im Mai 1934, das unter anderem in Mainz und Trier stattfand. Doch welche Absicht verfolgte der VDA mit dieser Veranstaltung?
Der VDA verstand sich in den 1930er und 1940er Jahren als nationalsozialistisch geprägter Kulturvermittler und Bindeglied zu den im Ausland lebenden Deutschen (siehe zudem ISGV-Projekt Briefe von „Auslandsdeutschen“ als lebensgeschichtliche Zeugnisse). Ziel war aber auch die Pflege von Kultur und Sprache beispielsweise durch einen Jugendaustausch in Schulen und Kindergärten. Die Pfingsttagungen 1934 und 1935, die auch von den VDA-Landesverbänden im Reich mitorganisiert wurden, um den VDA in der breiten Öffentlichkeit zu repräsentieren, stellten den bisherigen Höhepunkt der inneren und äußeren Wirkung des Vereins in der Öffentlichkeit dar. In der Forschung ist der VDA umstritten: Obwohl es ihm offiziell nie um die aktive Eroberung von sogenanntem Lebensraum ging, verfolgte er dennoch eine Revision der Grenzen des Versailler Vertrages; Gebiete des „gelebten Volkstums” wurden nach den Interessen des NS-Regimes ideell ausgedehnt und bei verschiedenen Gelegenheiten auch offen und direkt kommuniziert und unterstützt, wie z. B. bei dem hier dargestellten Pfingsttreffen 1934 in Trier. Dabei ging es – wie auch das Transparent im Bild zeigt – um die immer wiederkehrende und von den Nationalsozialisten angefochtene Diskussion um die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland und ist damit kurz vor der sogenannten Saarabstimmung 1935 einzuordnen.
Andere Dias aus dem Bestand zeigen z. B. den weiteren Verlauf des Festzugs, Personen in einem Stadion bei der Massenkundgebung „Stunde der Jugend”, bei der Vizekanzler Franz von Papen (1879–1969) die Festrede hielt, uniformierte Musiker, Personen in Trachten und Ansichten von Bauwerken/Ruinen. Die mit zeitgenössischen Titeln versehenen Glasdias stammen offenbar von den dazugehörenden Originalnegativen (Negativfilm Nr. 400), die ebenso im Mittelformat, jedoch einzeln zerschnitten, vorliegen und dem im ISGV verwahrten Nachlass des Volkskundlers Sigfried Kube zugeordnet sind. Nach der Verzeichnung des Nachlasses wurden die darin enthaltenen Fotografien in das Bildarchiv übertragen und digitalisiert.

Foto: Christoph Sauer
Siegfried Kube (1915–1990) besuchte in Leipzig das Gymnasium und studierte ab 1934 Pädagogik mit dem Wahlfach Volkskunde bei Bruno Schier (1902–1984) am Pädagogischen Institut der Universität Leipzig, wo er 1941 promoviert wurde. Nach Fronteinsätzen in Lappland, Frankreich und der Sowjetunion geriet er in Kriegsgefangenschaft und kehrte anschließend nach Sachsen zurück. Von 1954 bis 1984 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften (ab 1969 Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte / Volkskunde des Zentralinstituts für Geschichte) in der Außenstelle Dresden, der Vorgängerinstitution des ISGV. Seine primären volkskundlichen Forschungsthemen waren Bergbau, Trachten, Bräuche und Volksdichtung.

zur Pfingsttagung 1934, in: ISGV, NL Kube, Ku 10, A4
In seinem umfangreichen, leider von der Forschung bislang kaum genutzten Nachlass befinden sich nicht nur visuelle, sondern auch schriftliche Quellen zum VDA-Treffen 1934. In der Mappe “Pfingsttreffen 1934” (NL Siegfried Kube, KU 10, A4) sind u. a. Merkblätter und Richtlinien zur Pfingstfahrt des VDA 1934, ein Fahrtenplan, eine Postkarte sowie Notizen von Kube selbst überliefert. Daraus lassen sich auch die Hintergründe seiner Teilnahme erschließen: Als 19-jähriger Schüler stand Kube (von seinen Mitschülern auch “Kubus” genannt) im Mai 1934 kurz vor dem Abitur am Städtischen Reformrealgymnasium in Leipzig. Mit 28 angemeldeten Schülerinnen und fünf Schülern seines Gymnasiums fuhr er zusammen mit vielen weiteren Schulgruppen, der VDA-Landesverbandsleitung Sachsen sowie einer Delegation um den Dresdner Oberbürgermeister Ernst Zörner (1895–1945) per Sonderzug zur „Saarbrücker VDA-Tagung an Rhein und Mosel”, vermutlich selbst als VDA-Mitglied in weißem Hemd und blauer Krawatte. Dia Nr. 1 zeigt mutmaßlich Kubes Schulgruppe, die als Nr. 28 im VDA-Landesverband Sachsen am Festzug teilnahm. Aus einem Artikel der nationalsozialistischen Dresdner Tageszeitung Der Freiheitskampf vom 24. Mai 1934 (S. 3) geht hervor, dass die sächsische Frauengruppe des VDA „die stärkste im Reich" war und „die Zahl der Schulgruppen [...] in den letzten Jahren von 200 auf 1000 vermehrt" werden konnte. Der Fokus des Landesverbandes lag also vor allem auf einer Beteiligung sächsischer Schülerinnen. Auch die Fotografien zeigen auffallend viele junge Teilnehmerinnen als Statistinnen in „historischen und volkskundlichen Trachten”. Dabei ist auch die Frage zu stellen, ob sich bereits hier Kubes volkskundlichen Interessen andeuteten. Als Teilnehmende fungierten wohl nicht nur die offiziellen Mitglieder des VDA, sondern auch alle NS-Jugendverbände wie Hitlerjugend (HJ), Deutsches Jungvolk (DJ), Bund Deutscher Mädel (BDM) und Jungmädel (JM). Bereits im folgenden Jahr marschierten auch Reichswehr, RAD, SA und SS beim Pfingstreffen in Königsberg auf.
Der Dia- und Negativbestand dokumentiert aber nicht nur den Festzug am Pfingstmontag in Trier oder den Blick auf das Zeltlager der Jungen auf der Moselinsel. Er gibt auch Einblicke in das Rahmenprogramm, das vom Landesverband Sachsen organisiert wurde, wie z. B. die Besichtigung der Burgruine Landshut in Bernkastel-Kues oder die Kaiserthermen in Trier.
Ob Kube selbst als Fotograf tätig war, ob er jene Trachtenbilder in seinen volkskundlichen Forschungen überhaupt verwendet hat oder wie eng seine Beziehungen (auch im Hinblick auf sein späteres Studium der Pädagogik und Volkskunde) zum VDA im Nationalsozialismus waren, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass er noch 1936 als eingeschriebener Student als Begleiter der Jungenschaft Körner im Jungbann 1/107 des Deutschen Jungvolks an Fahrten teilnahm und diese mitorganisierte (Vgl. NL Kube, KU 10, A4, Osterfahrt 1936). Vom Pfingsttreffen 1934 in Trier gibt es bisher nur wenige Fotos in den Beständen anderer Institutionen. So findet sich in der Deutschen Fotothek eine andere Ansicht des Zeltlagers auf der Moselinsel, aufgenommen vom Hausfotografen der Landesbildstelle Sachsen, Walter Möbius (1900-1959), der den Landesverband Sachsen begleitete. Darüber hinaus finden sich einige Pressefotos der „Saarbrücker VDA-Tagung" im Fotoarchiv der Süddeutschen Zeitung. Die Mittelformat-Dias wie auch die Originalnegative im ISGV-Bildarchiv sind bisher die einzigen Quellen, die eine Teilnahme eines Schülers bzw. einer Leipziger Schülergruppe zusammen mit dem Landesverband Sachsen an der VDA-Pfingsttagung von 1934 dokumentieren. Glücklicherweise wurden die Bilder nach 1945 nicht wie so oft wegen eindeutiger NS-Symbolik geschwärzt oder vernichtet, obwohl sie angesichts Kubes Karriere in der DDR seine Teilnahme an einer NS-Veranstaltung thematisieren. Nachlässe sind als Quellen für wissenschaftliche und wissenschaftshistorische Fragestellungen von großer Bedeutung, wobei jener von Siegfried Kube noch mehr offenbaren kann.