Fundstück aus Jena – im Juni 2021

Jena und Haeckel – umstrittene Erinnerung an den „deutschen Darwin“

von Marlene Henning

Das Fundstück diesen Monats führt uns zunächst über den sächsischen Raum hinaus weiter zur Universitätsstadt Jena in Thüringen. Als Zentrum von Industrie und Wissenschaft lässt sich die Lichtstadt mit zahlreichen historischen Persönlichkeiten in Verbindungen bringen, welche in ihr gelebt und gewirkt haben. So ist es kaum möglich, einen längeren Weg durch Jena einzuschlagen, ohne dabei auf Denkmäler oder Büsten, Plätze oder Gebäude, Namenstafeln oder Straßen zu stoßen, die bestimmte Dichter:innen, Denker:innen und andere Persönlichkeiten in Ehren halten, die in Jena gelebt und gewirkt haben. Auch wenn man abseits der Innenstadt den mehrere Kilometer steil bergauf führenden Haeckelstein-Steig folgt und immer tiefer in die umliegenden Wälder eintaucht, wird man mit der Ehrung von wissenschaftshistorischen Persönlichkeiten der Stadt konfrontiert. Der Gedenkstein, welcher Ernst Haeckel (1834–1919) – „Naturforscher u. Philosoph – Bahnbrecher der Entwicklungslehre“ – würdigen soll, ist dabei unübersehbar.

Hier sind es jedoch weniger die konzeptionelle Anordnung des Aussichtspunktes und seine auffällige Gestalt als vielmehr die zahlreichen Schändungen dieses Steins, welche in den letzten Jahren immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihn gelenkt haben.

Die Debatte um die Würdigung des ehemaligen Professors der Friedrich-Schiller-Universität hatte sich insbesondere 2019 – das Jahr, an dem sich sein Todestag zum einhundertsten Mal jährte – in Jena wieder neu belebt. In einer Mitteilung anlässlich dieses 100-jährigen Jubiläums gab die Universität ihr Vorhaben bekannt, die Erinnerung an Haeckel und sein Erbe weiter zu pflegen und auch für eine breitere Öffentlichkeit „im alten Glanz erstrahlen“ zu lassen. Damit will die Universität Haeckels Nachlass und somit sein Schaffen und Wirken als einen wichtigen Bestandteil der Jenaer Wissenschaftsgeschichte bewahren. Von anderer Seite wird dieses Erinnerungsvorhaben allerdings deutlich kritisiert. Haeckel wird dabei insbesondere mit rassistischen Auffassungen in Verbindung gebracht. Die Begründung lautet, dass Haeckel mit der von ihm betriebenen Stammesgeschichtsforschung unter anderem auch versuchte, „Menschenrassen“ aufgrund von bestimmten anatomisch-biologischen Unterschieden herauszustellen und sie in Abstammungszusammenhänge zu bringen. Diese Überlegungen wurden vom Nationalsozialismus aufgegriffen, da sie dessen völkisch-biologistische Weltanschauung und damit die „Rassenhygiene“ scheinbar wissenschaftlich begründeten. Während sich somit auch die „rassische Aufbauarbeit“ an der Universität Jena auf Haeckel berufen hat, konnten jedoch andere seiner Überlegungen nicht mit dem NS vereinbart werden.

Bis heute wird darüber debattiert, in welchem Verhältnis Haeckel zum Rassismus steht und damit auch, inwieweit es angemessen ist, ihn weiterhin zu würdigen. Dabei wurde insbesondere mit der Jenaer Erklärung, welche unter dem Thema „Jena, Haeckel und die Frage nach den Menschenrassen: wie Rassismus Rassen macht“ steht, ausführlich dargelegt, dass Rassismus nicht naturwissenschaftlich begründbar sei: „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.

Diese Ausführungen der Jenaer Erklärung sah wiederum die Grüne Jugend Jena als unvereinbar mit den Ideen Haeckels an. Den 21. März 2021 als internationalen Tag gegen Rassismus hat sich daraufhin die GJ Jena zum Anlass genommen, Schilder und Tafeln, die nach Haeckel benannte Orte ausweisen, mit Ergänzungsschildern zu bekleben. Mit dieser Protestaktion forderte sie nicht nur die Umbenennung sämtlicher nach Haeckel benannten Orte in Jena, sondern auch die Entfernung des Ernst-Haeckel-Steins. Die GJ Jena wollte damit die Stadt zu einer kritischen Aufarbeitung ihrer Platz- und Straßennamen bewegen – so wie es bereits andere Großstädte Deutschlands tun.

An dieser Debatte lässt sich zunächst gut erkennen, dass öffentliche Erinnerung und Würdigung stets mit einem gewissen gesellschaftlichen Wertekonsens einher gehen. Dies zeigt, dass Denkmäler sowie Platz- und Straßennamen – auch wenn sie noch so „alt“ sein mögen – stets mit Fragen nach Machtansprüchen und mit allgemeinen Wertvorstellungen in Verbindung stehen. Der Haeckel-Stein wurde in den letzten Jahren oft als Medium benutzt, um bestimmte gesellschaftspolitische Botschaften zu verbreiten. So wurde er beispielsweise 2019 auch mit nationalsozialistischen Symbolen übersprüht. Mitte März 2021 war wiederum auf diesem Stein nun in bunter Farbe „Ernst Haeckel – Bahnbrecher der Rassenlehre“ zu lesen. Auch wenn die Besprühungen bisher immer wieder entfernt wurden – der Haeckel-Stein wird unentwegt zum Schauplatz für derartige Statements, welche die Themen Rassismus und Nationalsozialismus betreffen.

An diesem Fundstück wird die Debatte nach einer angemessenen Würdigung einer historischen Persönlichkeit deutlich – welche weiter auch davon zeugt, wie Haeckels Schaffen und Wirken gegenwärtig ausgehandelt wird. Denkmäler und ähnliche Monumente des kollektiven Erinnerns sind damit nicht allein Objekte für Kunstinteressierte. Als Teil des öffentlichen Raumes sind sie auch Manifestationen öffentlicher Meinung. Ob Grabmäler, Denkmäler oder Platz- und Straßennamen – sie alle hängen mit Fragen nach Bewahrung, Erinnerung und Würdigung zusammen. Und wie zudem deutlich wird, können sie auch von verschiedenen politischen Gruppierungen benutzt werden, um sich sichtbar zu machen und mit Aktionen oder Schändungen Aufmerksamkeit zu erregen. In heutigen modernen und pluralistischen Gesellschaften ist daher der Umgang mit Denkmälern umstritten und wird intensiv diskutiert. Mit den gesellschaftspolitischen Debatten und Aushandlungsprozessen, die insbesondere in Zusammenhang mit Denkmälern stehen, befasste sich auch das Projekt „Umstrittene Memoriale. Das Zeitalter des Denkmals in Sachsen 1871–1933“ am ISGV. Solche Fragen nach Bewahrung, Achtung und Pflege sind es schließlich auch, welche auch die Volkskunde und weitere Kulturwissenschaften stets begleiten.

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