Fundstück aus dem ISGV – im Januar 2024
Fotografische Neujahrsgrüße aus Freiberg. Reprise
von Nathalie Knöhr
Grußkarten mit persönlichen Gratulationen zum Jahreswechsel sind ein weit verbreiteter Neujahrsbrauch: Mit einem Blick auf das, was ist und war, bringen die Absenderinnen und Absender ihre Glückwünsche und Hoffnungen für die Zukunft zum Ausdruck. Auch die Freiberger Fotofreunde verschicken ihre fotografischen Neujahrsgrüße im Postkartenformat an Verwandte und Bekannte oder überreichen sie einander beim ersten monatlichen Clubtreffen des neuen Jahres. So erhielten auch wir Forscherinnen im Projekt Bildsehen // Bildhandeln in den vergangenen Jahren je eine ihrer Kartenkreationen; sie sind in diesem Monat (und damit erneut) das Fundstück aus dem ISGV.
Mit ihren individuell gestalteten Neujahrskarten führen die Fotofreundinnen und -freunde fort, was sie in den 1980ern im Zuge gemeinsamer Silvesterfeiern „mehr privat“ begonnen und bis heute als Teil der vielfältigen Aktivitäten im Fotoclub beibehalten haben, wie der Clubvorsitzende Harald Börner erzählte. Dem Anlass entsprechend, und je nach Geschmack und Gefallen, finden sich auf diesen Karten zuweilen winterliche Motive oder bekannte Glückssymbole, ähnlich wie sie auch handelsübliche Neujahrskarten zieren.
Die Abkürzung pf, die auf der ein oder anderen ihrer selbstgestalteten Karten der jeweiligen Jahreszahl zugefügt wurde, steht für pour féliciter, einen aus dem Französischen kommenden Ausdruck: um Glück zu wünschen. Diese verkürzte Gratulationsformel wurde auf Neujahrsgrafiken, die von Künstlerinnen und Künstlern sowie künstlerisch tätigen Amateurinnen und Amateuren zu DDR-Zeiten kreiert und untereinander ausgetauscht wurden, verwendet und ist heute vor allem auch auf Weihnachts- und Neujahrskarten aus Tschechien und der Slowakei zu finden.
Die Clubmitglieder pflegen ihren je eigenen Stil: Zu ihren Fotos und Fotomontagen kombinieren sie beispielsweise handschriftlich gestaltete oder in variierenden Schriftarten am PC verfasste Glückwünsche und gute Vorsätze. Mancher von ihnen hat mit der Zeit auch ein eigenes Layout entwickelt. Je nach Bildidee können zusätzliche Grafik- und Textelemente aus den Fotos kleine Erzählungen entstehen lassen: ob in comicartigen Sprechblasen, in Form einer Anekdote oder zum Bild passenden Gedichten – was Gestaltung und Themen der Neujahrskarten angeht, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Mit humoristischen oder auch philosophischen Bild-Text-Kompositionen können sie zum Schmunzeln anregen oder mit Kommentaren zum aktuellen Weltgeschehen auch mal nachdenklich stimmen.
Einige Foto-Grußkarten verweisen auf persönliche Ereignisse im Leben der Absenderin oder des Absenders, wie beispielsweise der Umzug in ein neues Zuhause, vergnügliche Erlebnisse, wie Familienurlaube, Konzert- oder Ausstellungsbesuche.
Andere ihrer Glück- und Zukunftswünsche verweisen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, auf das Fotografieren.
So lassen sich auf der ein oder anderen Neujahrskarte fotografische Grußformeln ausmachen, allen voran Gut Licht! (als Pendant zum Glück auf! der Bergleute) oder der Neujahrswunsch, im kommenden Jahr reichlich gute Motive zu finden. Glück bringen Fotograf*innen (wie auch allen anderen) aber nicht nur günstige Licht- und Wetterverhältnisse. Auf der Suche nach geeigneten Motiven sind zudem ein waches Auge und der redensartliche richtige Riecher von Vorteil, wie sie Anja Schmidt und Katharina Leist allen mit ihren Neujahrskarten wünschten. Redensarten wie diese lassen sich dabei im erweiterten Sinne zu einer ganzen Sammlung von Sprachbildern zählen, die nicht nur fotografiegeschichtlich eine Rolle spielen. Insbesondere Metaphern prägen sowohl die Theorie als auch die erfahrungsgeleitete Praxis des Fotografierens.
Das ließen auch manche Interviews erkennen, die wir im Projekt mit Fotoclubmitgliedern geführt haben. So erwähnte zum Beispiel Sylvia Börner, dass sie neben dem Fotoapparat auch ihre innere „Motivklingel“ dabeihaben muss, damit unterwegs spontan ein gutes Bild entsteht. Neben der eigenen Tagesform, den Licht- und Wetterbedingungen bei einer Fototour beeinflussen auch die Ortskenntnis und die jeweilige Aufnahmesituation, ob man etwas sehe oder nicht. Außerdem gehöre „ein Gefühl für den Moment“ dazu, beschrieb sie weiter; also ganz praktische Erfahrungswerte für die Bildkomposition und das richtige Timing beim Drücken des Auslösers.
Einige Fotomotive auf den Neujahrskarten der Clubmitglieder erinnern auch an gemeinsame Unternehmungen: Das Foto einer Nashorn-Skulptur auf der Karte von Anja Schmidt für das Jahr 2022 zum Beispiel, ist auf einer Foto-Exkursion nach Dorfhain nahe Tharandt zur bautechnischen Bildungswelt Georado entstanden, mit der die Freiberger Fotofreunde 2021 bei bestem November-Wetter das 70-jährige Bestehen ihres Clubs nachfeierten. Die Ergebnisse ihrer fotografischen Erkundungen rund um die Schulungs- und Ausstellungsräume der am Standort des ehemaligen VEB für Elektro- und Radiobauteile angesiedelten Stiftung für Geotechnik und Kunst präsentierten sie im folgenden Sommer mit einer eigenen Ausstellung vor Ort.
Mit dem Foto einer der ältesten Steinbrücken im ehemaligen Freiberger Bergbaugebiet, der Schafbrücke, greift Wolfgang Schmieder mit seiner aktuellen Neujahrskarte das von den Mitgliedern des Fotoclubs in 2022 bearbeitete Jahresthema auf. Die besten ihrer über das Jahr auf Fototouren, Ausflügen oder Urlaubsreisen fotografierten Brücken-Bilder haben sie gesammelt, gemeinsam gesichtet und besprochen und anschließend für die Ausstellung im folgenden Frühjahr im Foyer der Freiberger Sparkassen-Filiale ausgewählt. Drei Jahre zuvor hatten sie dort bereits eine Auswahl aus ihren über vier Jahrzehnte hinweg gesammelten Neujahrsgrüßen präsentiert.
Neben den hier gezeigten Beispielen aus den vergangenen vier Jahren und aus der kuratierten Neujahrskarten-Sammlung der Freiberger Fotofreunde, können ein paar weitere Exponate aus der damaligen Ausstellung in einer Kleinen Neujahrskarten-Galerie auf dem projektbegleitend publizierten Wissenschaftsblog betrachtet werden. Die Bildrechte liegen bei den Fotografinnen und Fotografen, ihnen allen sei herzlich gedankt!