Fundstück aus dem ISGV – im Februar 2025

Garagen! – Einblicke in einen übersehenen Alltagsort

von Katharina Schuchardt

Dresdner Garagenanlage, 2023,
Foto: Katharina Schuchardt

Am 18. Januar 2025 wurde das Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz eröffnet, bei dem Garagen eine zentrale Rolle spielen. Das Projektteam der #3000 Garagen spürt den Orten, ihren Nutzer:innen und ihrer Bedeutung nach, denn die kleinen Bauten eröffnen Einblicke in faszinierende Alltagswelten. Garagen dienen nicht nur als Stellplätze für Fahrzeuge, sie ermöglichen das Werkeln, Basteln und Schrauben, sind Aufbewahrungsorte für liebgewonnene oder überflüssig gewordene Gegenstände, Party- und Probenräume, Orte der Gemeinschaft und Freizeitgestaltung. Und nicht zuletzt sind sie Erinnerungsorte: Während sie auf den ersten Blick eher unscheinbar sind, bilden gerade die großen Komplexe doch ein wichtiges Stück (ost-)deutscher Alltagsgeschichte ab und prägen als charakteristische Architektur der DDR die Stadtbilder bis heute. Typischerweise wurden sie als Garagenhöfe in mehreren Reihen errichtet, oft parallel zueinander, eingeschossig und mit Wegen versehen. Die Größe der Anlagen reicht von einigen wenigen bis hin zu über tausend Einzelgaragen.

Arbeiten auf einem Dresdner Garagenhof,
2024, Foto: Katharina Schuchardt

Die Geschichte ihrer Errichtung ist auch ein Teil der Geschichte der DDR. Die zunehmende Automobilisierung seit den 1970er Jahren warf verstärkt Fragen danach auf, wie das lang erwartete Gefährt geschützt untergestellt werden konnte. Die Errichtung der Anlagen erfolgte in Eigenleistung. Dafür wurden Garagengemeinschaften gegründet, die zunächst den Bau, später die Gemeinschaft koordinierten. Das Material wurde meist gestellt, Werkzeuge fehlten hingegen. Über Beziehungen für technisches Equipment und mit Muskelkraft wurden die Komplexe fertiggestellt. Jedes Mitglied errichtete zudem einen festen Geldbetrag für den Erwerb einer Garage, dessen Höhe auch von den geleisteten Arbeitsstunden abhing. Dabei wurde nicht die eigene Garage gebaut, sondern die gesamte Anlage in Gemeinschaftsarbeit. Die Zuteilung erfolgte später nach der Menge der geleisteten Arbeitsstunden; Personen mit mehr Stunden konnten zuerst auswählen. Die Anlagen befanden sich meist an städtischen Rändern und nur selten in unmittelbarer Nähe zu den Wohnungen der Nutzenden – man fuhr mit dem Fahrrad zu seinem Auto.

10 Bau- und Grundstücksakten,
Nr. 55254, Stadtarchiv Dresden

Garagenanlagen sind aber viel mehr als nur Unterstellplätze für Fahrzeuge. Die gemeinsame Aufbauzeit führte über das eigentliche Ziel hinaus und die Komplexe wurden zu einem Ort der Freizeitnutzung abseits enger Wohnungen. Gemeinsam sind allen Anlagen, dass es vielfältige soziale Beziehungen von Garagennutzenden untereinander gibt und sich auch heute noch viele Höfe durch ein aktives Vereinsleben auszeichnen. Vorstandsmitglieder regeln die zu verrichtenden Tätigkeiten auf den Höfen wie die regelmäßigen Arbeitseinsätze, bei denen Grünflächen gepflegt und Reparaturen auf dem Hof durchgeführt werden. Gespräche unter Freunden, ein Bier zum Feierabend, gemeinsame Grillnachmittage oder der Austausch über die Reparatur von Oldtimern oder Simsons sind Teil des Alltags von Garagenhöfen. Spezialkenntnisse über technische Details und das Wissen, wer welche Ersatzteile hat, verbindet die Generationen, zumeist Männer. Garagenhöfe dienen als Treffpunkte, an denen Interessensgruppen zusammenkommen können und sich gegenseitig bei verschiedenen Projekten unterstützen.

Derzeit sind viele Anlagen vom Abriss bedroht. Viele Pachtverträge werden nicht verlängert, wenn sie sich auf kommunalen Grund befinden, weil die Grundstücke einem neuen Zweck zugeführt werden sollen. Grundlage dafür ist das „Schuldrechtsanpassungsgesetz“ (1995), das den Verbleib von Gebäuden auf ‚nichteigenem‘ Grund regelt. Die darauf erbauten Garagen gehören aber den Besitzer:innen, die eine Pacht für die Nutzung zahlen. Seit 2015 erhalten diese Garagen jedoch keinen gesonderten Schutz mehr und müssen im Falle einer Kündigung weichen. Bis zum Oktober 2022 trugen die Grundstückseigentümer die anfallenden Räumungs- und Abrisskosten. Seit dem Ablauf dieser Frist müssen Pächter:innen selbst dafür aufkommen. Die Städte entscheiden auf Grundlage von eigens erstellten Garagenentwicklungskonzepten, welche Standorte langfristig erhalten bleiben und welche nicht. Dies betrifft Standorte in ganz Ostdeutschland.

Garagen bieten vor allem Schutz für das untergestellte Fahrzeug: vor der Witterung, Beschädigungen, unerlaubten Zugriffen und neugierigen Blicken. Außer dem abgestellten PKW oder dem Motorrad werden heute oftmals noch weitere Wertgegenstände untergebracht, beispielsweise hochwertige Werkzeuge und Reifen, teure Fahrräder und E-Bikes. Doch insbesondere die abgelegenen Anlagen, die nicht mit Zaun, Toranlagen und Kameras versehen sind, locken unerwünschte Gäste an. Einbrüche sind an der Tagesordnung. Daher werden ausgefeilte Sicherungssysteme wie massive Schlösser und Mehrfachverriegelungen angebracht. Warnschilder zeugen von dem Versuch, Schutzräume zu schaffen und Diebstahl vorzubeugen.

Größere Anlagen dienen in Einzelfällen allerdings auch als vermeintlich sichere Rückzugsorte für kriminelle Handlungen: als Versteck für Hehlerware und Drogen oder als illegale Werkstatt, in der gestohlene Autos umlackiert werden. Als Müllhalde und Übungsfläche für angehende Graffiti-Künstler:innen können Garagen ebenfalls dienen – das gilt primär für abgelegene und öffentlich zugängliche Komplexe.

Das Thema ‚Garage‘ wird auch mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) assoziiert. Denn es war eine Garage in Jena, die dem NSU als Lager für Propagandamaterialien und Waffen sowie als Werkstatt für den Bombenbau diente. Hier nahmen die Verbrechen dieser terroristischen Vereinigung ihren Ausgang.

Das ISGV beschäftigt sich bereits länger mit diesen Alltagsbauten und widmet ihnen einen eigenen Blog. Beiträge sind willkommen! In Kooperation mit dem Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt und dem Seminar für Kulturanthropologie/Kulturgeschichte der Universität Jena ist sogar eine Ausstellung entstanden: „Garagen | Geschichte. Erkundungen eines Alltagsortes“. Die Präsentation kann noch bis zum 16. März 2025 im Erfurter Museum besichtigt werden. Im Anschluss wird die Ausstellung in veränderter Form ab April 2025 im Chemnitzer Garagen-Campus zu sehen sein. Zusätzlich veranstalten wir auch eine Lesereihe zu Garagen als fiktionalen Orten – so trägt das ISGV gleich mehrfach zum Programm der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 bei.

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