Fundstück aus dem ISGV – im Februar 2023
Der „Heilige Albert“ in Schönfeld
von Sönke Friedreich
Die Kirche des 1999 eingemeindeten Dresdner Stadtteils Schönfeld, in unmittelbarer Nachbarschaft des Schlosses gelegen, ist einer jener typischen Kirchenbauten, die zu den Anziehungspunkten dörflichen und kleinstädtischen Lebens in Sachsen zählen. Mit seiner schlichten Fassade, der hölzernen Empore und dem mit einfachen Holzbänken ausgestatteten Chor strahlt das Gebäude eine gewisse Nüchternheit aus. Umso stärker kommen die wenigen erhalten gebliebenen Elemente der barocken Innenausstattung wie die Kanzel von Peter Nacke (1677) und der Altar von Christoph Walther (1658) zur Geltung. Cornelius Gurlitt spricht in seinem Buch „Kunstdenkmäler von Dresdens Umgebung“ (1904) von einer „handwerklichen Arbeit“ – nicht gerade ein Kompliment, aber wohl eine realistische Einschätzung der kunsthistorischen Bedeutung der Kirchenausstattung.
Nicht aufgeführt in Gurlitts Beschreibung ist eine Besonderheit, die wohl jedem/r Besucher/in sogleich auffällt: In der linken Wand, in unmittelbarer Nähe zur Kanzel, befindet sich ein in kräftigen Farben leuchtendes Kirchenfenster, das sich deutlich von den einfachen Glasfenstern des Kirchenschiffes, aber auch den floralen Glasmalereien im Chor abhebt. Es stellt den sächsischen König Albert (reg. 1873-1902) im Uniformrock dar, den linken Arm angewinkelt, den rechten Arm auf einen Tisch mit einem mit „Verfassung“ betitelten Schriftstück gestützt. Der Hintergrund ist als säulenflankierte Nische mit einem drapierten roten Samtvorhang stilisiert. Das untere Drittel der Darstellung wird durch ein ornamental gefasstes sächsisches Wappen und zwei Schriftzüge gebildet.
Das opulente Kirchenfenster wurde 1902 eingebaut und ist mit seinen kräftigen Farben und dem monarchischen Porträt ein raumbeherrschendes Inventarstück. Es ist eine Besonderheit, da bildliche Ausschmückungen von Kirchenfenstern in der Regel biblischen Motiven oder Heiligen vorbehalten sind. Im Falle des Albert-Fensters besteht der einzige eindeutige Bezug zum Christentum in dem Bibelzitat „Wer da kärglich säet, der wird auch kärglich ernten, und wer da säet im Segen, der wird auch ernten im Segen.“ (2. Korinther 9:6)
Die Glasmalerei ist Ausdruck des zeitgenössischen dynastischen Kultes, der um die Jahrhundertwende große Teile der Öffentlichkeit im Königreich Sachsen erfasst hatte. Nicht umsonst wird der 1902 verstorbene König in Uniform, als siegreicher Feldherr im Deutsch-Französischen Krieg, und damit als Mitbegründer des Deutschen Reiches 1871 dargestellt. Für den Stifter des Fensters, den Besitzer des Schönfelder Schlosses Alfred Gutmann, ein Bruder des Gründers der Dresdner Bank Eugen Gutmann, war indes ein anderer Aspekt mindestens ebenso wichtig: Das Bild des Königs als gerechter und großzügiger christlicher Herrscher, dessen weltliche Macht durch die Gebote seiner Religion eingehegt und beschränkt wird. Diese Darstellung, die durch die Verankerung des Herrscherbildes im Kirchenraum erreicht wurde, ist umso bemerkenswerter, als Gutmann jüdischen Glaubens war. Offenbar war mit dem Bild nicht nur ein Erinnerungszeichen für den Herrscher beabsichtigt, sondern auch ein Appell: an den Geist der Toleranz und das Miteinander der verschiedenen Glaubensbekenntnisse im Land. Das Abbild eines katholischen Herrschers in einer evangelischen Kirche, gestiftet von einem jüdischen Zeitgenossen – diese Konstellation dürfte selten sein.