Fundstück aus dem ISGV – im Februar 2020
Der Luftangriff auf Dresden am 7. Oktober 1944 als Zerstörung eines wissenschaftlichen Lebenswerks und Ende der Illusion von der Ausnahmeposition im Luftkrieg
von Nick Wetschel
„Am 7. Oktober 1944 hat sich der erste gezielte Luftangriff auf Dresden und zwar auf die Innenstadt zugetragen; er galt augenscheinlich dem Heiz- und Kraftwerk am Wettiner Platz.“
So berichtete es der Museumsdirektor a.D. des Dresdner Völkerkundemuseums, Prof. Dr. Arnold Jacobi, am 25. Oktober an persönliche und dem Haus verbundene Freunde. Auf einem mit Schreibmaschine doppelseitig beschriebenen Blatt Durchschlagpapiers führte er nachfolgend die Zerstörungen am Magazin des Museums für Völkerkunde sowie dem Tierkundemuseum auf. Beide Gebäude befanden sich auf der Ostraallee und damit innerhalb des Zielgebietes zwischen Hamburger Straße und Postplatz. Bei dem Angriff kamen über 200 Menschen, darunter 28 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, ums Leben.
Bemerkenswert in Jacobis Bericht sind seine Bewertung der Auswirkungen der Zerstörungen auf sein wissenschaftliches Werk und der Ausblick auf den Fortgang des Krieges.
Während die Schäden am Magazin des Museums für Völkerkunde gering blieben, verlor das Museum für Tierkunde durch Brand wichtige Bestände, nämlich die Schausammlung und die wissenschaftliche Schmetterlingssammlung: „Hiermit ist ein großer Teil meiner Lebensarbeit, eine Gestaltung, der meine ganze Liebe, vieles Bedenken und Werben galt, und eine über hundert Jahre fliessende Quelle der Volksbelehrung dem nichts verfallen.“
An diese persönliche Verlusterzählung schloss er nach weiteren Details eine Einschätzung an, die den Fortgang des Krieges thematisierte und dabei implizit weitere Zerstörung erwarten ließ: „Die Verluste an Lehrmitteln und sammlerischen Kostbarkeiten werden auch bei befriedigendem Ausgang unsres Ringens um Leben und Wohlfahrt schwer, oft kaum, jedenfalls erst in Jahrzehnten zu ersetzen sein.“
So ging es wohl vielen Menschen in Dresden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt vor der direkten zerstörerischen Gewalt des totalen Krieges in Sicherheit wähnten. Spätestens mit dem Angriff vom 7. Oktober 1944, hätte sich die Illusion der Unverletzlichkeit auflösen müssen. Stattdessen hielt sie sich hartnäckig und wurde später als „unerwartete Zerstörung“ Teil des Narrativs vom „13. Februar“.
Victor Klemperer war ein weiterer Beobachter und privater Kommentator des ersten Luftangriffs und er bemerkte – aus ganz anderen existenziellen Gründen als der einen Teil seines Lebenswerks betrauernde Wissenschaftler – „ein sehr verändertes Grundgefühl“ nach dem Angriff: „Gestern zum erstenmal hat ‚es uns nahegestanden‘. Freital neulich war noch nicht Dresden. Diesmal traf es uns wirklich. Um 1145 kam Alarm. Ich war bei den Göringnotizen u. schrieb […] Um 12 großer Alarm. Ich nahm den Tonio Kröger, […] in den schwach besuchten Keller mit u. las auch eine Weile. Dann schoß Flak, dann hörte man helle heftige Schläge, offenbar Bomben, dann ging das Licht aus, dann war ein starkes schwellendes Rollen u. Rauschen in der Luft (fallende Bomben in geringer Entfernung). Ich konnte heftiges Herzklopfen nicht unterdrücken, wahrte aber Haltung. […] Dresden ist zum erstenmal getroffen worden. Und das kann sich jeden Augenblick wiederholen. Gestern Abend besuchte uns Katz; ihn drückte eine andere Sorge: wenn es zur Evakuation Dresdens käme, dann stünde den Mischehemännern u. Mischlingen Kz Buchenwald bevor; man sei mit den Juden anderer evakuierter Städte so verfahren.“
Die Angriffe am und nach dem 13. Februar 1945 zerstörten wesentliche Teile der Dresdner Innenstadt, die Opferzahl überstieg die des Oktober-Angriffs um ein Vielfaches. Auch das Japanische Palais, das später das Museum für Völkerkunde beherbergen sollte, war nun betroffen. Klemperers Sorge um die Deportation und deren tödliche Konsequenzen trieb ihn, das durch den Angriff entstandene Chaos zur Flucht zu Nutzen. Ihm und anderen bot die Bombardierung letztlich eine Chance zum Überleben.