Fundstück aus dem ISGV – im Dezember 2024
Weihnachtliche Familientradition: Ein Stammbaum Seiffener Leuchterschnitzer
von Katrin Mai
Weihnachten gilt in den christlich geprägten Ländern als ein wichtiges, wenn nicht gar als das wichtigste Fest im Jahreslauf. Es ist ein Fest der Familie, verbunden mit lang gehegten Traditionen und Bräuchen. Dazu zählt auch die Weihnachtsdekoration. Nicht selten werden Baumschmuck oder auch Kerzenleuchter, Nussknacker oder Räuchermännchen über Generationen vererbt. Besonders beliebt sind weihnachtliche Produkte aus dem Erzgebirge. Die Herstellung hölzerner Handwerkskunst ist seit Jahrhunderten im Erzgebirge verortet und als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Seiffen ist das wohl bekannteste Zentrum der erzgebirgischen Volkskunst – und der Herkunftsort des letzten Fundstücks für das Jahr 2024.
In der Institutsüberlieferung des ISGV (Archiv des Instituts für Volkskunde, AIfV) befindet sich unter der Signatur AIfV/K55/M21,1 ein Fragebogen des Landesamts für Volkskunde und Denkmalpflege zur Erfassung der Bau- und Kulturdenkmale, in diesem Fall von weihnachtlicher Volkskunst. Er ist Teil eines Konvoluts zum Thema Weihnachten, das u. a. Ausarbeitungen und Korrespondenzen zu Ausstellungen erzgebirgischer Schnitzereien enthält. Vermutlich handelt es sich um Arbeitsmaterialien von Karl Ewald Fritzsch, der zu weihnachtlichen Bräuchen forschte und publizierte und zudem volkskundliche Landesaufnahmen betreute. Ferner lässt ein Rundschreiben darauf schließen, das sich ebenfalls im Konvolut findet. In diesem bittet Fritzsch 1952 um Bildaufnahmen von Weihnachtsgegenständen der Volkskunst. Zahlreiche Antwortschreiben von Ortsbeauftragten für die Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmale erzgebirgischer Städte sind überliefert.
Der vorliegende Fragebogen wurde von dem Heimatforscher und Volkskundler Johannes Eichhorn (1904–1993) aus Seiffen ausgefüllt. Dem Formular sind ein Blatt mit Fotografien zweier Leuchterpaare der ‚alten‘ und ‚neuen‘ Form sowie eine maschinenschriftliche Abhandlung „Von Seiffener Bergmännern und Engeln“ beigefügt.
Doch das ist nicht alles: In gut leserlicher Handschrift verzeichnete Eichhorn auch einen „Stammbaum alter Seiffener Bergmänner, Engel und ihrer Verwandten“.
Auf einem DIN A4-Blatt verzeichnet Eichhorn fünf Generationen der ortsansässigen Drechslerfamilie Füchtner. Anders als es der Titel suggeriert, zeigt der Stammbaum die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Füchtners und weniger die benannten Weihnachtsfiguren. Verwoben in die Genealogie ist auch eine Erbfolge, die in der kinderreichen dritten Generation zum Tragen kommt. Hier gab es nicht mehr, wie im bisherigen Familienverlauf, einen Alleinerben, sondern drei Kinder. Auf diese verteilten sich anscheinend die Privilegien zur Herstellung weihnachtlicher Figuren. Dem erstgeborenen Sohn Max Füchtner wurde die Produktion von Räuchermännern „vererbt“, seinem Bruder Albert die Herstellung von Nussknackern. Nach Max Füchtners frühen Tod 1918 übernahm Albert die Produktion von Räuchermännern mit in seinen Zuständigkeitsbereich. Der einzigen Tochter Milda oblag die Herstellung von Bergmännern und Engeln. Über zwei Generationen stellten ihr Mann Reinhard und ihr Sohn Kurt Buschbeck Bergmänner und Engel der ‚alten Form‘ her. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass die Füße und teilweise auch die Arme nicht aus Holz gedrechselt waren (oder wie bei Engeln der ‚neuen‘ Form unter dem Kleidersaum verschwanden), sondern aus einer zumeist aus Sägemehl bestehenden Masse modelliert wurden; sogenannte Massefiguren.
Auch heute noch werden in der Füchtner-Werkstatt Nussknacker und Räuchermänner hergestellt. Aufgrund seiner innovativen Ideen in Verbindung mit traditioneller Handwerkskunst zählt der heutige Firmeninhaber Markus Füchtner zu den bekanntesten „Männelmachern“ des Erzgebirges.
Fragen nach dem Umgang mit Tradition und der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks wurden bereits in den 50er Jahren reflektiert und finden sich auch in dem ausgefüllten Fragebogen zur Erfassung der Bau- und Kulturdenkmale. Johannes Eichhorn war vor allem die Bewahrung der alten Formen wichtig. Auf die Frage, ob etwas die erzgebirgische, hier speziell Seiffener Volkskunst gefährde, nannte er die „Verflachung rein geschäftsmäßiger Herstellung“. Dabei hatte er wohl kaum die Flut von Kunsthandwerksprodukten vor Augen, die heute jedes Jahr die Geschäfte erreicht. Ein Großteil dieser entsteht in Niedriglohnländern und wird als Volkskunst „im Erzgebirgs-Stil“ vermarktet. Der Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller e. V., der sich auch für die Listung des erzgebirgischen Kunsthandwerks als Immaterielles Kulturerbe einsetzt, strebt ein Verbot dieser Bezeichnung an.
Ob mit Bergmann, Engelleuchte oder Schwibbogen: Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit voll Lichterglanz und alles Gute für das neue Jahr.