Fundstück aus dem ISGV – im Dezember 2021

Neujahrskarten: Bildergrüße und Glückwünsche für ein neues Jahr

von Claudia Dietze und Nathalie Knöhr

Von den Absendenden sorgfältig ausgesucht oder selbst gestaltet, überbringen sie zu Beginn eines neuen Jahres, stellvertretend in Bild und Text, die besten Grüße und Glückwünsche für die Zukunft: Neujahrskarten. Sie sind das Fundstück für diesen Dezember, mit dem das Jahr 2021 zu Ende geht und zugleich der Beginn eines neuen Jahres eingeleitet wird.

Lange Zeit war der Jahresbeginn im deutschen Raum nicht festgelegt, anders als in Osteuropa und dem Nahen Osten, wo das neue Jahr am 6. Januar beginnt. Erst mit der Einführung des gregorianischen Kalenders, Ende des 16. Jahrhunderts, wurde der 1. Januar deutschlandweit als Neujahrsbeginn festgelegt. Am 31. Dezember gedenkt die römisch-katholische Kirche Papst Silvester I., der an diesem Tag gestorben ist und zu dessen Amtszeit das Christentum römische Staatsreligion wurde. Neben dem Silvestertag ist der 1. Januar ein bedeutender Tag im kirchlichen Festkalender, da das Hochfest Marias als Gottesgebärerin gefeiert wird. Im nicht kirchlichen Kontext konzentriert man sich auf die Silvesternacht, die mit Feiern, Ausgelassenheit, Knallerei und Lärm verbunden ist und nutzt den Neujahrstag zur Ausnüchterung und mitunter als letzten freien Tag, bevor der Arbeitsalltag wieder beginnt.

Auch ist das Silvesterfest weniger eine familiäre Feier – nicht wie das Weihnachtsfest, das in kleinem Rahmen gefeiert wird – als eher ein Gemeinschaftsfest, bei dem scheinbar jeder mit jedem verbrüdert ist und auch Fremde auf der Straße mit Grüßen und Glückwünschen bedacht werden, auch wenn man sich sonst nicht beachten würde.

Ebenso verhält es sich mit den Glückwunschkarten. Adressiert man Weihnachtskarten eher an Familienmitglieder und enge Freunde, werden Neujahrskarten – oft auch in Verbindung mit einem Weihnachtsgruß – vor allem für Kolleg*innen, Dienstleistende und fernere Bekannte formuliert. Frühe Neujahrskarten waren in Klöstern gedruckte Andachtsbilder, im 15. und 16. Jahrhundert kamen gemalte Neujahrslieder hinzu und danach reich verzierte Lithografien und Kupferstiche. Gedruckte Karten, die durch billigere Druckverfahren für fast jedermann erschwinglich wurden, kamen in Deutschland im 19. Jahrhundert auf. Die Motivwahl war dabei vom Zeitgeist der jeweiligen Jahre stark beeinflusst. So fanden sich neben Weihnachtsbaum und Familie bald Schützengraben, Micky Maus, Kinder und Führer und diverse Glückssymbole, wie Schwein, Pilz oder Schornsteinfeger. Ab 1900 bestimmte die Fotografie die Gestaltung der Grußkarten.

Variationen bekannter Glückssymbolen und typischer weihnachtlicher oder winterlich-romantischer Szenerien finden sich auch heute unter den Fotomotiven handelsüblicher Neujahrskarten. Dass sich die Gestaltungsmöglichkeiten fotografischer Kartengrüße jedoch keineswegs darin erschöpfen, zeigen zum Beispiel die selbst gestalteten Glückwunschkarten der Freiberger Fotofreunde. In Kooperation mit dem Freiberger Fotoclub forschen Nadine Kulbe und Nathalie Knöhr am ISGV seit 2020 im Rahmen des DFG-Projekts „BildSehen // BildHandeln“ zur Geschichte und Praxis der Amateurfotografie.

Mit der Kreation individueller Neujahrskarten begannen Mitglieder des Freiberger Fotoclubs in den 1980er-Jahren, wie Clubleiter Harald Börner berichtete. Silvesterfeiern, anlässlich derer sich gegenseitig auch kreative Neujahrsgrüße in Kartenform überreicht wurden, fanden zunächst auf Einladung in den Räumen des „Cotta-Klubs“ statt, der dem Kulturbund gehörte, erinnerte er sich im Interview mit Nadine Kulbe (09.08.2021). Heute steht das um 1870 als Wohnhaus für den bedeutenden Geologen und Bergbauwissenschaftler Bernhard von Cotta (1808-1879) errichtete „Lindenhaus“ unter Denkmalschutz. Anfang der 1980er feierten dort zunächst Mitglieder verschiedener, im Kulturbund der DDR organisierter regionaler Clubs, etwa der Philatelie, der Numismatik, und auch des Fotozirkels, miteinander. Besonders letztere aber fanden Gefallen an der Idee, das Jahr zusammen ausklingen zu lassen. Mit geteilten Gaumenfreuden, mit Wunderkerzen, Luftschlangen und -ballons als Dekoration und mit komödiantischen Einlagen oder aus Fotocollagen gebastelten Silvesterscherzen zur Unterhaltung, begingen sie den Silvesterabend fortan gemeinsam. Selbst gestaltete Neujahrsgrußkarten, die sie einander mitbrachten, dienten den Zirkelmitgliedern dabei als symbolische Eintrittsbilletts.

Glückwunschkarten zum Jahreswechsel überreichen sich viele der gegenwärtigen Mitglieder, die sich heute regelmäßig im Clublokal „Waldfrieden“ einfinden, noch immer. Und auch die Tradition gemeinsamer Silvesterfeiern haben sie sich über die Jahre erhalten. Der Cotta-Klub aber war im Zuge der nach erfolgreicher ‚Friedlicher Revolution‘ und mit der Wiedervereinigung einsetzenden politischen Umbrüche und gesellschaftlichen Transformationsprozesse geschlossen worden. Der Fotoclub, dessen Mitglieder sich nun offiziell „Freiberger Fotofreunde“ nannten, agiert seitdem eigenständig.

Eine Auswahl all ihrer selbst gestalteten und gesammelten Neujahrskarten, die sie Jahr für Jahr an verwandte, befreundete und bekannte Personen verschenken, präsentierten die Fotofreunde und -freundinnen im Frühjahr 2019 in Freiberg im Rahmen einer gemeinsamen Ausstellung:

Unter dem Titel „Neujahrsgrüße“ waren in der dortigen Hauptfiliale der Mittelsächsischen Sparkasse über 300 Glückwunschkarten aus vier Jahrzehnten zu betrachten. Im Postkartenformat oder auch als Klappkarte gefertigt, regten die mit humoristischen bis kritisch kommentierenden Texten, guten Vorsätzen, Empfehlungen oder philosophischen Zitaten ins Bild gesetzten Fotografien so nicht nur die Beglückwünschten, sondern auch die Ausstellungsbesucher*innen zum Nachdenken und Schmunzeln an. Neben Freiberger Motiven und Szenen aus dem Stadtleben umfassen sie Konzert-, Landschafts- und Tieraufnahmen ebenso wie Urlaubsporträts, um nur einige zu nennen. Wie in der Freien Presse und im DVF-Journal, der Zeitschrift des Deutschen Verbands für Fotografie, berichtet wurde, erfreute sich die Ausstellung des Fotoclubs großer positiver Resonanz. Einen Auszug der dort präsentierten Neujahrsgrußkarten dürfen wir hier mit freundlicher Genehmigung ihrer Macher*innen zeigen; alle Bildrechte liegen bei ihnen.

Längst finden sich in unserer mitunter als digitales Zeitalter beschriebenen Gegenwart auch viele verschiedene papierlose Bildergrußformate: Weihnachts- und Neujahrsgrüße werden per Computer als animierte und klingende E-Cards verschickt oder vom Smartphone über Social Media-Apps ‚in Echtzeit‘ versendet. Zu besonderen und oft auch feierlichen Anlässen, die das Ende eines alten und den Beginn eines neuen (Lebens- oder Zeit-)Abschnittes einleiten, nutzen viele aber nach wie vor ebenso ‚analoge‘ Gratulationsformen. So sind seit der Ausstellung vor fast drei Jahren auch bei den Fotofreunden und -freundinnen weitere Grußkarten hinzugekommen. 2021 konnten sich die Clubmitglieder ihre guten Wünsche allerdings erst spät persönlich überreichen: Nach langem Lockdown und allmählichen Lockerungen der Corona-Schutz-Maßnahmen konnten die monatlichen Treffen im Clublokal ab Sommer wieder stattfinden. Manch fotografischer Kartengruß zum da schon nicht mehr so neuen Jahr, war deshalb zuvor per E-Mail in die Runde geschickt worden.

Ob nun analog oder digital – am Beispiel der Freiberger Fotofreunde wird unter anderem deutlich, dass das Gestalten und Verschenken von Glückwunschkarten zum Jahreswechsel Ausdruck individueller und gemeinschaftlicher Kreativität sein kann. Als kommunikative, um nicht zu sagen performative Akte, die häufig soziale Zugehörigkeiten bestärken, sind solche Gratulationsformen Teil einer vielfältigen Bandbreite an regional bekannten wie transnational verbreiteten Silvesterbräuchen, Neujahrstraditionen und -veranstaltungen. Seien es  gesellige Festmahle, Besuche in der Nachbarschaft, die Teilnahme an Bällen, Konzerten oder das Anbaden in Nord- oder Ostsee am Neujahrstag ‒ gemeinsam haben viele dieser Praktiken, mit denen Menschen das neue Jahr begrüßen, dass sie Gemeinschaftlichkeit herstellen und sie zugleich auch individuelle Bedeutungen tragen können. Ihre bekannten Elemente können genutzt werden, um den Übergang in eine noch unbekannte Zukunft immer wieder neu und (ein bisschen oder auch ganz) anders, kreativ eben, zu gestalten.

Wir wünschen allen frohe Feiertage und alles Gute für das kommende Jahr!

Zurück