Fundstück aus dem ISGV – im April 2022
Ein elendes Häufchen: „Nazi-Gold“ in Dresden
von Sönke Friedreich
Gold ist nicht nur eines der wertvollsten, sondern auch der kulturgeschichtlich bedeutendsten Elemente auf diesem Planeten. Allein der derzeit herrschende Boom im Investmentsektor oder reißerische Stories über „Nazi-Gold“ machen dies deutlich. Darüber hinaus sind Berichte über Goldschätze und -funde sowie Sagen und Märchen über gesponnenes Gold und Sterntaler fester Bestandteil unserer mündlichen Kultur (Vgl. Sarah Kleinmann/Uta Bretschneider, Eskapismus und Imagination. Zur Persistenz von Schatz-Bezügen, in: Volkskunde in Sachsen 29 (2017), S. 105-119.) Und so manch historische Entwicklung wäre ohne die Gier nach Gold wohl anders verlaufen – man denke an den Goldrausch in Kalifornien 1848/49.
Obwohl in den einschlägigen Berichten meist Superlative bemüht werden, entfaltet Gold schon in geringen Mengen eine magische Wirkung. Ein Beispiel findet sich in den Unterlagen des Bestands 12460 des Hauptstaatsarchivs Dresden, der eine große Zahl an Briefen sächsischer Auswanderer aus den 1930er Jahren umfasst und derzeit im Projekt „Briefheimaten. Briefe von ‚Auslandsdeutschen‘ als lebensgeschichtliche Zeugnisse, 1934-39“ ausgewertet wird. Etliche Briefe, die an den Landesverband Sachsen des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (VDA) geschickt wurden, enthielten kleine Gaben wie Fotos, Briefmarken, Pflanzensamen oder Tierhäute als Gegenleistung für die Zusendung der VDA-Zeitschrift „Sächsische Heimatbriefe“. Am 23. August und 21. September 1935 aber wandte sich ein besonderer Absender an den VDA: der Goldsucher Hermann Wilhelm (William) Richter, der damals im brasilianischen Amazonas-Gebiet lebte.
Richter war nach eigenen Angaben 1889 als junger Mann aus Limbach-Oberfrohna nach Südamerika ausgewandert und hatte sich 1898 zunächst am Fluss Araguari als Goldwäscher betätigt, war inzwischen jedoch an den Gurupi ins Territorio de Viseu gewechselt, wo er als einziger Sachse unter 1.500 Brasilianern nach Gold suchte. Er habe sehr viel Geld gemacht, allerdings ebenso viel wieder verloren; die Vorstellungen von dem wüsten Leben in den Goldgräberlagern seien freilich übertrieben (zumal die Regierung dort den Alkoholverkauf untersagt habe), und überhaupt sei die Goldgräberei ehrliche Arbeit – raue Gesellen gebe es schließlich überall. Als kleine Gabe an den VDA legte er einige Briefmarken sowie einen Beutel Goldstaub bei – ob als Dank für die Zusendung deutscher Zeitschriften oder als Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner exotischen Berichte, sei dahingestellt.
Es ist nicht bekannt, wie der VDA mit den ihm zugedachten Geschenken umging – für den Goldstaub gab es jedoch einen besonderen Interessenten. Der Dresdner Oberbürgermeister Ernst Zörner, zugleich Landesvorsitzender des VDA in Sachsen, wandte sich in einem Schreiben Ende 1935 an den „lieben Landsmann“, bedankte sich für dessen interessanten Brief, vor allem aber für das Gold, „das mich recht gefreut hat und gerade zu meiner Hochzeit eintraf. Ich habe somit Dein Schreiben als einen indirekten Hochzeitsgruß aufgefasst und danke Dir recht herzlich dafür.“ Unter diesem nicht gerade subtil vorgebrachten Vorwand verschwand der Beutel Goldstaub in den Taschen des NS-Bonzen.
Ob Richter mit der Übergabe des Goldstaubs in Nazi-Hände einverstanden war, ja ob er überhaupt je davon erfuhr, ist unbekannt. Wie so viele „Auslandsdeutsche“ war auch er allerdings ein glühender Hitler-Verehrer, in dessen Briefen sich nationale Selbstbeweihräucherung mit völkischen Ideen mischte. Daher könnte es durchaus sein, dass er sich für sein Gold keine bessere Verwendung hätte vorstellen können. Vielleicht hatte er die Hoffnung, eines Tages Zörner persönlich einen Nugget in die Hand drücken zu können. Der OB verblieb allerdings nicht mehr lange im Amt – schon 1937 unterlag er im Machtkampf mit Gauleiter Mutschmann und wurde kaltgestellt. Was aus Richter wurde, ist unbekannt.