Adventskalender aus dem ISGV – 2023
Um 1900 führte die Entdeckung des Winters als Reisezeit schnell zur Verbreitung einer ganzen Reihe von Wintersportarten, für die eine Infrastruktur erforderlich wurde. Die für die kalte Jahreszeit propagierten Freizeitaktivitäten trugen von Anfang an das positive Etikett der Sportlichkeit. Wander- und Wintersportkarten aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts belegen den erstaunlichen Umfang, mit dem die technischen Voraussetzungen für den Wintersport geschaffen wurden. Propagiert wurde diese Form der Freizeitgestaltung unter anderem auch durch Postkarten und Werbeprospekte jener Orte, die sich dann auch unter dem Namen „Wintersportplatz“ vermarkteten.
Mitte der 1920er Jahre gab der Chemnitzer Verein für Fremdenverkehr eine Publikation heraus, in die zwei Skitourenkarten eingebunden waren, die mit Texten und Werbeanzeigen den gesamten Rahmen der Wintersportbewegung beschrieben. In diesem Heft, das im Taschenformat gehalten war, findet sich eine Auflistung von 49 Skitouren durch die Umgebung von Chemnitz, das mittlere und das obere Erzgebirge mit Längen zwischen jeweils fünf und 31 Kilometern, zusätzlich eine „4 bis 5-tätige Wandertour durch das obere Erzgebirge“ von insgesamt 129 Kilometern. Es sind Skihütten und -heime in Oberwiesenthal, Oberjugel, Johanngeorgenstadt, Carlsfeld und bei den Greifensteinen sowie 21 Sprungschanzen aufgelistet. Als ein spezielles Problem wurde die Fragestellung „Wie soll sich der Skiläufer kleiden?“ behandelt. Entsprechende Werbeanzeigen einer ganzen Reihe von Firmen ergänzen die schon in dieser frühen Zeit zentrale Frage des Wintersports. Neben den ärztlichen Ratschlägen für den Skisport sind es vor allem die „Zehn Gebote für Skiläufer“, die uns heute einen Einblick in die Alltagsprobleme der Wintersportreibenden der 1920er Jahre vermitteln: beispielsweise Gebot Nr. 3 „Vermeide im Eisenbahnwagen jede unliebsame Auseinandersetzung mit Gegnern des Wintersports!“ oder Nr. 5 „Komme der Landbevölkerung auf deinen Touren freundlich entgegen! Durch ein freundliches Wort kannst du viel erreichen.“ Und als wichtigstes das 10. Gebot: „Schließe dich einem Wintersportverein an…“
Diese Vereine schufen den organisatorischen Rahmen für viele Wintersportveranstaltungen, für das Erlernen der unterschiedlichen Sportarten sowie für die Errichtung und die Erhaltung der Anlagen. Zu den frühen Organisationen gehörten der Dresdner Ski-Club, der Schi-Verband Erzgebirge und die Ski-Abteilung des Dresdner Ruder-Vereins. Die Orte, in denen der Wintersport vor allem ausgeübt wurde, lagen im Erzgebirge: Altenberg, Kipsdorf, Bärenfels und Geising im Osterzgebirge sowie Oberwiesenthal mit dem Fichtelberg, dem höchsten Berg Sachsens, und Annaberg, wo auf dem Pöhlberg eine ganze Wintersportanlage mit Bobbahn, Rodelbahn, Sprunghügel und Skistrecken geschaffen wurde. Schnell breitete sich die Wintersporttouristik im Erzgebirge und auch im Vogtland aus. Nach wenigen Jahren waren Augustusburg und Buchholz, Freiberg, Johanngeorgenstadt und Zöblitz als Wintersportorte bekannt. In vielen Orten wurden Rodel- und Bobbahnen angelegt, Sprungschanzen gebaut und alle Einrichtungen, die den Sommertouristen zur Verfügung standen, auch in der kalten Jahreszeit betrieben.
Erstaunlich ist der Organisationsgrad, den der Wintersport schon nach wenigen Jahren erreicht hatte. Durch die Vereinsanbindungen wird aber auch deutlich, dass es zumindest in der Anfangsphase im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, ein in großer Breite betriebener Sport war, der als Ergänzung zum sommerlichen Tourismus betrachtet wurde. Auf einer Skitouren-Karte vom Oberen Erzgebirge, die vom Verein für Fremdenverkehr e.V. Chemnitz in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre herausgegeben wurde, sind allein 84 Skivereine aufgezählt, die dem Skiverband Sachsen im Kreis Westerzgebirge angeschlossen waren, davon zehn Vereine mit Sitz in Chemnitz und zehn mit Sitz in Leipzig. Insgesamt 57 Orte sind verzeichnet, die in diesem erzgebirgischen Verband aktiv beteiligt waren. Kleine und mittlere Orte verzeichnen meist nur einen „Skiklub“ oder eine „Skiabteilung des Wintersportvereins“ wie Olbernhau oder nannten sich eben einfach „Wintersportverein“. In den größeren Städten sieht das Bild anders aus. Hier versammelten sich Menschen in den Ski- und Wintersportvereinen, die auch in der warmen Jahreszeit Sport als Ausgleich zum beruflichen Alltag sahen. Für Leipzig dokumentiert sich das in Bezeichnungen wie „Berg- und Wintersportverein im Verein für Bewegungsspiele“, „Berg- und Wintersportabteilung im Sportklub Wacker“, „Skiklub des Akademischen Sportklubs Leipzig“, „Skiabteilung der Leipziger Sportfreunde 1900“ oder als Beispiel auch „Wintersport-Abteilung der Hockeyabteilung im Allgemeinen Turn- und Sportverein von 1848 zu Leipzig-Gohlis“. Vergleichbare Organisationsstrukturen bzw. Anbindungen des Wintersports sind auch für die Städte Chemnitz und Dresden belegt. Und Organisationen waren notwendig, um die aufwändigen Anlagen, die zu einem echten „Wintersportplatz“ gehörten, zu errichten und zu unterhalten.
Die Orte konkurrierten mit Superlativen um die Wintersportgäste. Auf einer Vielzahl von Postkarten taucht die Bezeichnung „Wintersportplatz“ auch am Rand von Motiven auf, die eine sommerliche Landschaft zeigen. Oberwiesenthal wurde zum sächsischen „St. Moritz“. Der Pöhlberg bei Annaberg war nun „der schönste Berg im Erzgebirge“ und ein „erstklassiger Wintersportplatz“ durch seine „musterhaft angelegte Bobbahn. 1600 m lang bei 166 m Gefälle. Hervorragendes Schneeschuhsportgelände mit vorschriftsmäßigem Sprunghügel. 2000 m lange Bobbahn bei 190 m Gefälle, abends elektrisch beleuchtet. Eisbahn 6600 qm.“
Ohne Weiteres kann man für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts drei Zentren des Wintersports in Sachsen benennen. Dies sind die Hänge am Fichtelberg, dem Ort Oberwiesenthal zugeordnet, der Pöhlberg in Annaberg und das Skigebiet im Osterzgebirge mit dem Berg Geising und den Städten Altenberg und Geising.
Der Fichtelberg bei Oberwiesenthal ist mit rund 1.200 Metern der höchste Berg Sachsens und damit auch das schneesicherste Gebiet. Hier ist noch heute die seit 1924 in Betrieb befindliche und damit älteste Luftseilbahn Deutschlands eines der wichtigsten Transportmittel zum Gipfel. Auf dem Pöhlberg (832 Meter) wurden Anlagen zur Austragung aller Wintersportarten (Skilauf, Rodeln, Bobsleigh, Skispringen und Eislaufen) auf engem Raum errichtet. Das Gebiet um Altenberg und Geising mit einer Höhenlage zwischen 600 und 800 Metern ist wohl vor allem durch seine verkehrstechnische Erschließung von Dresden aus zu einem der wichtigsten Wintersportgebiete Sachsens geworden. Die Müglitztalbahn verbindet seit 1890 als Schmalspur- und seit 1930 als Normalspurbahn das Elbtal mit den Höhenlagen des östlichen Erzgebirges. Die natürliche Tallage von Geising mit großen Höhenunterschieden an den Hängen, die Bobbahnen und Sprungschanzen ermöglichten, war, verbunden mit einer relativen Schneesicherheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die wichtigste Voraussetzung, um das Gebiet für Wintersportler attraktiv werden zu lassen. Eine Wintersportkarte von 1927 zeigt uns für Zinnwald, Altenberg und Geising neun Sprungschanzen bzw. Sprunghügel, eine Bobsleighbahn, zwei Rodelbahnen, zwei Abfahrtsstrecken für den alpinen Skilauf. Die Strecke am Geisingberg trug in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Namen „Sachsenabfahrt“. Die Strecke der ehemaligen Bobsleighbahn von Geising ist in den fünfziger Jahren nur noch als beliebter Skiweg markiert. Zwei Rodelbahnen und ein Eisstadion existierten in dieser Zeit noch. Und es sind nur noch vier Sprungschanzen in die Wander- und Wintersportkarte des Ost-Erzgebirges aus dem VEB Bibliographisches Institut Leipzig für das Gebiet um Altenberg eingezeichnet. Eine Karte von Annaberg-Buchholz aus den 1960er Jahren aus dem gleichen Verlag ist nicht mehr explizit für „Sommer- und Wintersport“ gestaltet, obwohl Sprungschanze und Bobbahn am Fichtelberg vermerkt wurden. Dagegen ist auf einer Karte von „Oberwiesenthal und Umgebung“ auch der geplante Verlauf einer noch zu errichtenden Bobbahn am Fichtelberg eingezeichnet.
Der Wintersport in Sachsen und damit verbunden die Nutzung der Höhen- und Hanglagen des Erzgebirges haben sich im Laufe des der vergangenen mehr als einhundert Jahre verändert. Dies hat einerseits mit den klimatischen Veränderungen im 20. Jahrhundert zu tun, andererseits sind die Ansprüche an die technischen Voraussetzungen zur Durchführung einzelner Wintersportarten gewachsen und erfordern so auch eine Konzentration auf wenige der nicht immer schneesicheren Höhenlagen der sächsischen Gebirge.
Andreas Martin
* Der Text stellt eine leicht gekürzte Fassung des Beitrags „Der Wintersportplatz Sachsen. Aus der kartografischen Sammlung des ISGV“ von Andreas Martin dar, der im Ausstellungskatalog „Spurensuche. Einblicke in die Sammlungen des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde“, herausgegeben von Johannes Moser, erschienen im Thelem-Verlag, Dresden 2006, S. 53-59, veröffentlicht wurde.